Entscheidungsstichwort (Thema)

Urteilsverkündung trotz Vergleich als unrichtige Sachbehandlung

 

Leitsatz (amtlich)

Teilt ein Prozessbevollmächtigter unmittelbar vor dem Verkündungstermin mit, dass die Parteien sich verglichen haben, kann eine unrichtige Sachbehandlung vorliegen, wenn das Gericht gleichwohl das bereits fertig gestellte Urteil verkündet. Das ist nicht dadurch in Frage gestellt, dass eine schriftliche Erklärung des Prozessgegners zum Verkündungszeitpunkt noch ausstand.

 

Normenkette

GKG § 21; ZPO § 278; BGB § 839

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Beschluss vom 16.07.2008; Aktenzeichen 15 O 296/06)

 

Tenor

Wegen unrichtiger Sachbehandlung ist nur die ermäßigte Gebühr der Gerichtskosten nach einem Satz von 1,0 zu erheben.

 

Gründe

1. Die Klägerin beanspruchte vom beklagten Steuerberater Schadensersatz i.H.v. 84.412, 89 EUR. Die volle Gebühr nach KV GKG Nr. 1210 hat sie entrichtet. In der Niederschrift der Sitzung vom 14.5.2008 heißt es u.a.:

"Die Kammer rät den Parteien insbesondere auch aus Kostengründen zu einer vergleichsweisen Beilegung des Rechtsstreits. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin gibt zu bedenken, dass eine mögliche vergleichsweise Einigung bei einem Betrag von 10.000 EUR in Betracht käme. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten erklärt, er werde dies mit der Haftpflichtversicherung abklären."

Nach streitiger Verhandlung wurde Termin zur Verkündung einer Entscheidung bestimmt auf den 18.6.2008, 8:45 Uhr. Mit am 17.6.2008 (16.36 Uhr) eingegangenen Fax sowie Schriftsatz diesen Tages (Nachtbriefkasten) teilte der Klägervertreter folgendes mit:

"... konnte zwischen den Parteien eine außergerichtliche Einigung mit nachfolgendem Inhalt erzielt werden: ...

Zum Ausgleich aller streitgegenständlichen Ansprüche zahlt der Beklagte an die Klägerin einen Betrag i.H.v. EUR 12.500. Von den Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs tragen die Klägerin 85 %, der Beklagte 15 %.

Es wird angeregt, hinsichtlich dieses Vergleichs nunmehr gem. § 278 Abs. 6 ZPO vorzugehen. Vor diesem Hintergrund wird beantragt, den Termin zur Verkündung einer Entscheidung vom 18.6.2008 aufzuheben. Der Beklagtenvertreter wird sich gleichlautend an die Kammer wenden."

Gleichwohl verkündete die Kammer am 18.6.2008 ein (klageabweisendes) Urteil.

Im Antrag nach § 21 GKG hat die Klägerin u.a. unwidersprochen vorgetragen, auf telefonische Nachfrage bei der Geschäftsstelle der 15. Zivilkammer am 18.6.2008 sei mitgeteilt worden, dass diese Erklärung der Kammer vor Verkündung der Entscheidung vorgelegen habe, was Herr Richter F. dem Unterzeichner gegenüber auch am 24.6.2008 telefonisch bestätigt habe.

Dem Vorbringen hat sich der Beklagte angeschlossen. Er sei in hohem Maße irritiert, sei doch durch die trotz der Einigung der Parteien abgesetzte Entscheidung gegen wesentlich Verfahrensgrundsätze verstoßen worden.

Das LG hat den Antrag auf Nichterhebung (eines Teils) der Gerichtsgebühren im Wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, die Parteien hätten hinreichend Gelegenheit gehabt, übereinstimmend einen Vergleichsabschluss der Kammer mitzuteilen. Das sei jedoch nicht erfolgt. Bei dem Schriftsatz der Klägerin vom 17.6.2008 handele es sich vielmehr um eine einseitige Erklärung der Klägerin ohne Bindungswirkung unmittelbar vor dem anberaumten Verkündungstermin.

Gegen diese Entscheidung vom 16.7.2008 richtet sich die sofortige Beschwerde der Klägerin mit dem Ziel, dass zwei Gerichtsgebühren nicht erhoben werden. Der Beschwerde hat die Kammer nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

2. Die zulässige Beschwerde ist begründet, denn es liegt eine unrichtige Sachbehandlung i.S.d. § 21 Abs. 1 GKG vor, die zu vermeidbaren Mehrkosten geführt hat.

a) Der Antrag auf Niederschlagung von zwei Gerichtsgebühren ist zulässig. Er ist nicht im Rahmen der Erinnerung gegen den Kostenansatz zu bescheiden, da er vor Zugang der Kostenrechnung gestellt worden ist (vgl. BVerwG NVwZ 2006, 479 m.w.N.).

Der Antrag auf Niederschlagung von Kosten ist auch begründet. Gemäß § 21 Abs. 1 S. 1 GKG werden Kosten nicht erhoben, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären. Ein leichter Verfahrensverstoß reicht in der Regel jedoch nicht aus, um von der Erhebung von Kosten nach dieser Bestimmung abzusehen. Um zu verhindern, dass es zu einer Kette nicht endender Nichterhebungsverfahren kommt, verlangt die Rechtsprechung vielmehr einen schweren Verfahrensverstoß (BGH NJW-RR 2005, 1230 m.w.N.).

Ein derartiger Verstoß ist hier zu bejahen. Das Verfügungsrecht über den Prozess im Ganzen steht den Parteien zu (vgl. dazu Zöller/Greger, ZPO, 26. A., vor § 128 Rz. 9).

Die Dispositionsmaxime betrifft die Verfügungsfreiheit der Parteien über den Streitgegenstand und damit über Gang und Inhalt des Verfahrens. Die Parteien eröffnen durch Klage (Antrag, Gesuch) bzw. Rechtsmittel das Verfahren oder eine weitere Instanz und beenden sie durch Rücknahme oder Vergleich. Sie bestimmen im Urteilsverfahren den Umfang der rechtlichen Nachprüfung durch die Sachanträge, du...

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