Entscheidungsstichwort (Thema)

Abzweigung von Sozialleistungen (hier: Krankengeld) nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB I ggü. einem vermeintlich Unterhaltspflichtigen

 

Leitsatz (amtlich)

Die Abzweigung von Sozialleistungen (hier: Krankengeld) nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB I gegenüber einem vermeintlich Unterhaltspflichtigen hat den Charakter eines belastenden Verwaltungsakts, gegen den der Adressat Widerspruch einlegen und Anfechtungsklage erheben kann. Sieht er von einer Anfechtung der ihm bekannt gegebenen Abzweigungsanordnung ab, wird diese ihm gegenüber wirksam, wodurch er in die Auszahlung des betreffenden Teils der ihm zustehenden Sozialleistungen durch den Leistungsträger an den vermeintlich Unterhaltsberechtigten einwilligt. Steht diesem mangels Leistungsfähigkeit des Pflichtigen ein Unterhaltsanspruch nicht zu, erhält er aufgrund der Abzweigung eine Leistung als Nichtberechtigter, die er nach § 816 Abs. 2 BGB an den vermeintlich Unterhaltspflichtigen auskehren muss.

 

Normenkette

BGB §§ 816, 1603; SGB I § 48

 

Verfahrensgang

AG Simmern (Beschluss vom 18.08.2008; Aktenzeichen 5 F 76/08)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des AG - FamG - Simmern vom 18.8.2008 abgeändert.

Dem Kläger wird für die Klage vom 22.2.2008 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsanordnung bewilligt und Rechtsanwalt YY, zu den Bedingungen eines im Gerichtsbezirk des AG Simmern ansässigen Rechtsanwalts zur Vertretung beigeordnet.

 

Gründe

I. Der Kläger ist der Vater des am 9.4.2001 geborenen Kindes N. F., für das der Beklagte Unterhaltsvorschuss erbringt. Anfang 2007 erlitt der Kläger einen schweren Unfall und liegt seither im Wachkoma in einem Pflegeheim. Er bezieht Krankengeld der B. kasse und Pflegegeld, wodurch nach seinem Vorbringen die Heimpflegekosten allerdings nicht gedeckt werden.

Auf Antrag des Beklagten hat die B.-kasse ab 25.5.2007 täglich 5,66 EUR des an den Kläger zu zahlenden Krankengeldes einbehalten und nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB I an den Beklagten ausgezahlt, nachdem der Kläger sich zu dem ihm zur Stellungnahme zugeleiteten Ansinnen des Beklagten nicht geäußert hatte. Mit Bescheid vom 26.11.2007 wurde die Abzweigung des Krankengeldes mit sofortiger Wirkung wieder eingestellt.

Der Kläger begehrt die Gewährung von Prozesskostenhilfe für eine Klage auf Rückzahlung des im vorgenannten Zeitraum insgesamt an den Beklagten abgezweigten Krankengeldes i.H.v. 850 EUR und macht hierzu geltend, er sei über den gesamten Zeitraum zur Zahlung von Kindesunterhalt nicht leistungsfähig gewesen.

Durch Beschluss vom 18.8.2008 hat das FamG das Begehren des Klägers mit der Begründung zurückgewiesen, die Voraussetzungen der einzigen in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage einer ungerechtfertigten Bereicherung lägen nicht vor, weil für die Abzweigung und Zahlung ein Rechtsgrund gegeben gewesen sei. Wenn der Kläger der Ansicht sei, dass die Abzweigung nicht hätte erfolgen dürfen, hätte er gegen den Bewilligungsbescheid der Krankenkasse vom 3.8.2007 vorgehen müssen.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II. Die gegen die Entscheidung des FamG gerichtete Beschwerde des Klägers ist in förmlicher Hinsicht nicht zu beanstanden und hat auch in der Sache Erfolg. Entgegen der Ansicht des FamG (und des Beklagten) hat die beabsichtigte Rechtsverfolgung des Klägers hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 ZPO). Dem Kläger kann gegen den Beklagten ein Anspruch nach § 816 Abs. 2 BGB zustehen.

Nach dieser Bestimmung ist in Fällen, in denen an einen Nichtberechtigten eine Leistung bewirkt wird, die dem Berechtigten gegenüber wirksam ist, der Nichtberechtigte dem Berechtigten zur Herausgabe des Geleisteten verpflichtet. Diese Voraussetzungen liegen nach dem Vortrag des Klägers hier vor. Die B.-kasse hat i.H.v. 850 EUR das dem Kläger zustehende Krankengeld mit befreiender Wirkung an den Beklagten abgeführt, obwohl diesem ein entsprechender Unterhaltsanspruch gegen den Kläger nicht zustand.

Nach § 7 UVG geht, wenn der Empfänger von Unterhaltsvorschuss für die Zeit, für die ihm diese Leistung erbracht wird, einen Unterhaltsanspruch gegen den Elternteil hat,

bei dem er nicht lebt, dieser Anspruch in Höhe der Unterhaltsleistung auf den Leistungserbringer über. Hiernach stand dem Beklagten in dem Zeitraum der Abzweigung nur dann ein Anspruch gegen den Kläger zu, wenn und soweit dieser selbst nach §§ 1601 ff. BGB gegenüber seinem Sohn unterhaltspflichtig war. Dies war jedoch - auch unter Berücksichtigung des § 1603 Abs. 2 BGB - nicht der Fall, wenn die Kosten der Heimunterbringung in diesem Zeitraum höher waren als die dem Kläger zufließenden Geldleistungen und er auch nicht in der Lage und verpflichtet war, für den Unterhalt aus seinem Vermögen aufzukommen.

Die "Leistung" der Krankenkasse an den Beklagten war dem Kläger gegenüber wirksam, da er die Abzweigungsanordnung nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB I nicht angefochten hatte. Diese Anordnung hat den Charakter eines belastenden Verwaltungsakts, gegen den der...

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