Entscheidungsstichwort (Thema)

Bedürftigkeitsunterhalt nach türkischem Recht

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Anspruch auf nachehelichen Unterhalt (Bedürftigkeitsunterhalt) nach Art. 175 des türkischen ZGB steht unter dem Vorbehalt des nicht überwiegenden Verschuldens des Unterhaltsberechtigten an der Zerrüttung der Ehe.

2. Enthält das Scheidungsurteil insoweit keine bindenden Feststellungen, müssen im Unterhaltsrechtsstreit alle Voraussetzungen des Unterhaltsanspruchs, einschließlich der Verschuldensfrage, geprüft werden.

 

Normenkette

EGBGB Art. 18 Abs. 4 S. 1; Türk. ZGB Art. 166; Türk. ZGB Art. 175

 

Verfahrensgang

AG Andernach (Beschluss vom 30.03.2006; Aktenzeichen 7 F 572/05)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des AG - FamG - Andernach vom 30.3.2006 abgeändert.

Der Antragstellerin wird für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe ohne Zahlungsbestimmung bewilligt; ihr wird Rechtsanwalt T. in Koblenz zu den Bedingungen eines Verkehrsanwalts beigeordnet.

 

Gründe

Die sofortige Beschwerde ist statthaft (§ 127 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) und auch im Übrigen zulässig; sie hat auch in der Sache Erfolg.

Die Antragstellerin begehrt mit der - noch nicht zugestellten - Klage nach der rechtskräftigen Ehescheidung in der Türkei vom Antragsgegner die Zahlung von nachehelichem Unterhalt nach deutschem Recht oder - hilfsweise - Bedürftigkeitsunterhalt nach türkischem Recht i.H.v. 301 EUR monatlich von Februar bis Juni 2005 und i.H.v. 251 EUR monatlich ab Juli 2005. In diesem Umfang kann der beabsichtigten Klage - jedenfalls nach dem ergänzenden Vorbringen im Beschwerdeverfahren - hinreichende Erfolgsaussicht nicht abgesprochen werden (§ 114 ZPO).

a) Die Antragstellerin selbst geht - recht verstanden - von der Anerkennung des Scheidungsurteils des AG Adana (Türkische Republik) vom 12.3.1998 - Aktenzeichen: 1997/593 - (Bl. 15 GA; Übersetzungen Bl. 13/14 und Bl. 34/35 GA) für das Inland aus. Nachehelicher Unterhalt (§§ 1569 ff. BGB) wie Bedürftigkeitsunterhalt (Art. 175 türkZGB n.F.) können erst ab dem Eintritt der Rechtskraft der Ehescheidung verlangt werden. Soweit die Antragstellerin das ohne ihre Anwesenheit verhandelte und abgeschlossene Scheidungsverfahren in der Türkei rügt (Schriftsatz v. 4.9.2006; Bl. 64 f. GA), macht sie damit nicht etwa das Anerkenntnishindernis nach § 328 Abs. 1 Nr. 2 ZPO geltend, sondern wendet sich ersichtlich allein gegen eine Bindungswirkung der dortigen Feststellungen für das streitgegenständliche Unterhaltsverfahren (dazu sogleich unter b.). Im türkischen Urteil ist auch ausdrücklich festgehalten, dass die Antragstellerin "trotz der Vorladung (...) nicht zur Verhandlung gekommen" ist.

Für den hier verfolgten (nachehelichen) Unterhaltsanspruch ist damit das türkische Recht maßgebend (Art. 18 Abs. 4 Satz 1 EGBGB; Senatsverfügung v. 28.7.2006 - Bl. 57 GA). Beide Parteien sind türkische Staatsangehörige.

b) Nach Art. 175 türkZGB n.F. kann der Ehegatte, der durch die Scheidung bedürftig wird und den kein höheres Verschulden trifft, vom anderen Ehegatten nach dessen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit für seine Lebensführung unbefristet Unterhalt verlangen; auf ein Verschulden des Unterhaltspflichtigen kommt es nicht an. Der nacheheliche Unterhaltsanspruch (Bedürftigkeitsunterhalt) steht mithin unter dem Vorbehalt des nicht überwiegenden Verschuldens des Unterhaltsberechtigten an der Ehescheidung; nach der Rechtsprechung des türkischen Kassationshofes muss insofern das konkrete Umfeld der Beteiligten berücksichtigt werden (vgl. Rumpf/Odendahl in Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Stand: 30.6.2003, Abschn. Türkei S. 39 f.).

Es kann hier dahinstehen, ob eine dementsprechende Feststellung im rechtskräftigen Scheidungsurteil auch im Unterhaltsverfahren als bindend zugrunde zu legen ist (so wohl der türkische Kassationshof; vgl. Rumpf/Odendal, a.a.O.) und ob dies dann auch für das Inland - im Lichte des ordre public (Art. 6 EGBGB) - Geltung beanspruchen könnte. Denn der türkische Scheidungsausspruch enthält entgegen der Auffassung des AG gerade keine - ggf. einen Unterhaltsausschluss tragenden - Feststellungen zu einem überwiegenden Verschulden der Antragstellerin. Den vorliegenden (offensichtlich nicht "perfekten" und auch nicht inhaltsgleichen) Übersetzungen kann nämlich lediglich entnommen werden, dass das AG Adana - nach Beweiswürdigung - die Ehe als zerrüttet angesehen und damit die Voraussetzung für eine Ehescheidung nach Art. 134 türkZGB a.F. (entspricht Art. 166 türkZGB n.F.) bejaht hat.

Soweit der Antragsgegner im Scheidungsantrag der Antragstellerin bestimmte Verhaltensweisen vorgeworfen hatte (Nichtbeachtung der türkischen Bräuche und Traditionen, Vergnügungs- und Streitsucht; Vernachlässigung des Kindes und des Haushalts), erklärt sich dies aus dem türkischen Scheidungsverfahren. Nach der - ständigen - Rechtsprechung des türkischen Kassationsgerichtshofs fehlt dem auf Scheidung antragenden Ehegatten bereits das Klage...

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