Leitsatz (amtlich)

1. Die Grundrente nach § 1 OEG i.V.m. § 31 BVG fällt - im Gegensatz zur Ausgleichsrente nach § 32 BVG - unter die in § 1610a BGB erwähnten Leistungen.

2. Mit der Vorschrift des § 1610a BGB wird dem Geschädigten die Beweislast dafür abgenommen, dass die bezogenen Entschädigungsleistungen tatsächlich zur Deckung des schadensbedingten Mehrbedarfs erforderlich sind. Vielmehr obliegt es dem Gegner des Geschädigten, im Unterhaltsverfahren durch Vollbeweis die entsprechende gesetzliche Vermutung zu widerlegen.

3. Den Geschädigten trifft allerdings eine sekundäre Darlegungslast. Im Rahmen dieser ist allerdings wiederum zu beachten, dass der Gesetzgeber mit der Einführung des § 1610a BGB den Geschädigten im Unterhaltsverfahren gerade von einer detaillierten Darlegungsobliegenheit befreien wollte und hierbei die dadurch für den Prozessgegner auftretenden Beweisschwierigkeiten bewusst in Kauf nahm.

 

Normenkette

BGB § 1610a; OEG § 1; BVG §§ 31-32

 

Tenor

1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Neuwied vom 20.02.2017 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Der Verfahrenswert wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.852 EUR (12 × 321 EUR) festgesetzt.

 

Gründe

...

(1) In diesem Zusammenhang käme es nun allerdings auf die zwar bereits erstinstanzlich streitige, nach dem bisherigen Vorbringen der Antragsgegnerin jedoch nicht entscheidungserhebliche Frage an, ob die seitens der Antragstellerin bezogene Opferentschädigungsgrundrente von 189 EUR/mtl. bzw. 193 EUR/mtl. nach §§ 1 Abs. 1 OEG, 31 BVG bei der Bemessung ihrer Leistungsfähigkeit ebenfalls zu berücksichtigen ist.

Das ist vorliegend zu verneinen.

(2) Die Opferentschädigungsgrundrente wird als Teil der Versorgung von Opfern bestimmter Gewalttaten gemäß § 1 Abs. 1 OEG gewährt "wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen" einer erlittenen gesundheitlichen Schädigung. Entsprechend der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur vergleichbaren Vorschrift des § 1 BVG für Kriegsopfer hat sie demgemäß im Wesentlichen zwei Funktionen: Sie soll einerseits den Beschädigten - ideell - für den Verlust seiner körperlichen Integrität entschädigen und andererseits - materiell - die Mehraufwendungen ausgleichen, die ihm infolge der Schädigung in allen Lebenslagen gegenüber einem gesunden Menschen erwachsen (vgl. BGH NJW 1981, 1313 m.w.Nw.). In diesem Sinn kommt der Grundrente nach § 31 BVG sowohl eine immaterielle als auch eine wirtschaftliche Ausgleichsfunktion zu, wobei die Bedeutung der letzteren häufig überwiegt. Über diese beiden Ausgleichsfunktionen hinaus hat die Beschädigten-Grundrente nach der ursprünglichen Zielsetzung des Bundesversorgungsgesetzes - für den Bereich der öffentlichen Sozialleistungen - nicht auch die Aufgabe, den allgemeinen Lebensunterhalt des Beschädigten und seiner Familie sicherzustellen. Diesem Zweck dient vielmehr die Ausgleichsrente nach § 32 BVG (vgl. BGH NJW 1981, 1313 m.w.Nw.). Deren Voraussetzungen, nämlich ein Grad der Schädigung von mindestens 50%, liegen hier in der Person der Antragstellerin indes nicht vor. Der Grad der Schädigung ist in den eingereichten Bescheiden vom 08.06.2016 und vom 11.06.2017 jeweils mit 40 attestiert.

Damit wird die Grundrente aus der Sicht des öffentlichen Sozialrechts zur Bestreitung des Lebensunterhalts nur insofern gewährt, als sie den zum Lebensunterhalt gehörenden Mehraufwand ausgleichen soll, der durch die Schädigung bedingt ist (vgl. BGH NJW 1981, 1313 m.w.Nw.). Unterhaltsrechtlich blieb die Grundrente nach der vorgenannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs dennoch nicht von vornherein außer Ansatz. Begründet wurde dies damit, dass sie je nach den Verhältnissen des Einzelfalles sowohl zur Deckung des schädigungsbedingten besonderen als auch zur Befriedigung des "normalen" Bedarfs geeignet sei. Daher müsse im Einzelfall der tatsächliche Mehraufwand ermittelt und berücksichtigt werden, den der Grundrentenempfänger infolge seiner Schädigung hat und für dessen Ausgleich die Rente nach § 31 BVG benötigt werde. Lediglich die zur Erfüllung dieses Mehraufwandes - gegebenenfalls im Wege der Schätzung nach § 287 ZPO zu ermittelnden - erforderlichen Mittel seien dem Beschädigten vorweg zu belassen und der unterhaltsrechtlichen Berücksichtigung entzogen. Die Darlegungs- und Nachweispflicht treffe insoweit den Geschädigten (vgl. BGH NJW 1981, 1313).

Unter anderem diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der Gesetzgeber in der Folgezeit zum Anlass genommen, die Vorschrift des § 1610a BGB einzuführen. Mit ihr sollte dem Geschädigten die Beweislast dafür abgenommen werden, dass die bezogenen Entschädigungsleistungen tatsächlich zur Deckung des schadensbedingten Mehrbedarfs erforderlich sind. Es wird nunmehr vermutet, dass die schadensbedingten Mehraufwendungen nicht geringer sind als die bezogene Entschädigungsleistung. Dabei nahm der Gesetzgeber ausdrücklich in Kauf, dass die betreffenden Sozialleistungen so regelmäßig nicht mehr zum Unterhalt herangezog...

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