Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachbarliches Zusammenleben mit Pflegebedürftigen; vom Nachbarn hinzunehmende Beeinträchtigungen; nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch; kein Aufwendungsersatz des Nachbarn für Anzeigen von Verkehrsverstößen der Anlieferer

 

Leitsatz (amtlich)

1. Im nachbarlichen Zusammenleben mit Pflegebedürftigen ist ein erhöhtes Maß von Toleranzbereitschaft zu fordern. Die Grenze der Duldungspflicht ist erst dann erreicht, wenn dem Nachbarn die Belästigung billigerweise nicht mehr zuzumuten ist.

2. Der Betreiber eines Pflegeheims hat als mittelbarer Störer zur Verhinderung von durch Anlieferverkehr ausgehenden Belästigungen (hier: unzulässiges Halten von Lieferwagen mit laufendem Motor) die ihm billigerweise zumutbaren Maßnahmen zu treffen. Das Maß des ihm Zumutbaren ergibt sich aus einer Gewichtung der von den Lieferanten verursachten Beeinträchtigungen der Nachbarn einerseits und der zu ihrer Abstellung erforderlichen Maßnahmen andererseits.

3. Einem sich nachts durch eine auf dem Gelände eines Pflegeheims vorhandene Lichtquelle gestört fühlenden Nachbarn ist zuzumuten, der Störung durch Schließen vorhandener Klappläden selbst abzuhelfen.

4. Die Notwendigkeit, sich vor unerwünschten Einblicken durch die Verwendung durch Sichtschutz zu schützen, stellt keine unzumutbare Beschränkung der Nutzung von in innerstädtischen Gebieten mit geschlossener Bebauung gelegenen Gebäuden und Gärten dar und rechtfertigt keinen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch.

5. Einem Rechtsanwalt, der Verkehrsordnungsverstöße von Anlieferern eines benachbarten Pflegeheims zur Anzeige bringt, stehen hierfür gegen den Heimbetreiber keine Ansprüche auf Aufwendungsersatz aus Geschäftsführung ohne Auftrag zu.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 3 S. 2; BGB §§ 667, 683, 906 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2, § 1004

 

Verfahrensgang

LG Freiburg i. Br. (Urteil vom 30.01.2006; Aktenzeichen 6 O 142/04)

 

Tenor

1. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Einzelrichters der 6. Zivilkammer des LG Freiburg vom 30.1.2006 - 6 O 142/04 - wird als unbegründet zurückgewiesen.

2. Die Kläger tragen die Kosten der Berufung.

3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 11.912,50 EUR festgesetzt.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Kläger machen gegen die Beklagte Unterlassungsansprüche, nachbarrechtliche Ausgleichsansprüche sowie Schadensersatz- bzw. Aufwendungsersatzansprüche geltend.

1. Die Parteien sind Nachbarn. Ihre Grundstücke liegen in der Innenstadt von X. - einer kleineren Großstadt - in einem Bereich, der im Bebauungsplan als "besonderes Wohngebiet" gem. § 4a BauNVO ausgewiesen ist. Dabei liegt das Grundstück der Kläger an der W-straße; das nördlich davon und sich wesentlich weiter nach Westen erstreckende Grundstück der Beklagten grenzt im Westen an den H-platz. Die Kläger nutzen das auf ihrem Grundstück gelegene Gebäude, das sie um 1999/2000 gekauft haben und in dem sie zuvor Mieter gewesen waren, als Wohn- und Geschäftshaus: Sie betreiben darin ihre Rechtsanwaltskanzlei und haben in dem Haus ihre Privatwohnung; weitere Räumlichkeiten sind vermietet. Die Beklagte hatte ursprünglich im westlichen, zum H-platz hin gelegenen Bereich ihres Grundstücks ein Altenheim betrieben, den sich darin östlich anschließenden und dirket an das Grundstück der Kläger angrenzenden Grundstücksteil hat die Klägerin im Zusammenhang mit dem Betrieb des Altenheims als Garten genutzt. Ab 1998 hat die Beklagte im ehemaligen Gartenbereich ihres Grundstücks einen voluminösen Neubau errichtet, in dem sie - was unstreitig ortsüblich ist - ein im Dezember 2000 in Betrieb genommenes und 80 Personen Platz bietendes Pflegeheim unterhält. An der zum Grundstück der Kläger gerichteten Seite des Heims befinden sich 24 Zimmer mit Fenstern. Drei an dieser Hausfront gelegene Balkone haben zur Grundstücksgrenze einen Abstand von 2,40 m und zum Haus der Kläger einen Abstand von ca. 5,50 m. Die Zufahrt zu der 12 Stellplätze umfassenden Tiefgarage des Pflegeheims liegt - westlich an die Grenze des klägerischen Grundstücks anschließend - an der W-traße; von hier aus erfolgen auch Warenanlieferungen für das Pflegeheim.

Als die Kläger das Eigentum an ihrem Grundstück erworben haben, war das Gebäude des zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht in Betrieb genommenen Pflegeheims bereits errichtet. Die Art und Weise der damals bereits angelegten Zufahrt zum Heim war den Klägern - wie überhaupt die gesamte Planung - bekannt.

Die Kläger sind der Auffassung, vom Pflegeheim gingen Beeinträchtigungen aus, die sie nicht bzw. nicht entschädigungslos hinzunehmen hätten. Sie würden durch insbesondere von den Heimbewohnern ausgehende Geräusche gestört sowie dadurch, dass vom Heim aus Einblick in ihre Geschäfts- und Privaträume genommen werde. Gestört würden sie ferner durch den Lieferverkehr zum Grundstück der Beklagten. Die Lieferwagen würden regelmäßig in der W-straße - oft vor dem Haus der Kläger - im absoluten Halteverbot parken, was...

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