Entscheidungsstichwort (Thema)

Gegenwertforderung der VBL gegen einen ausgeschiedenen Beteiligten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) hat die Berechnung ihrer Gegenwertforderung gegen Arbeitgeber, die zwischen dem 01.01.2002 und dem 31.12.2012 aus der VBL ausgeschieden sind, mit dem nach Maßgabe der 22. Satzungsänderung anzuwendenden satzungsergänzenden Beschluss vom 18.11.2016 (SEB) neu geregelt. Diese Neuregelung hält der Inhaltskontrolle überwiegend stand und ist grundsätzlich wirksam.

2. Insbesondere steht dem weder ein Verbot der Rückbewirkung von Rechtsfolgen noch die Rechtskraft einer gegen dieselbe Beklagte erfolgten früheren Klageabweisung, welche bereits vor Erlass des satzungsergänzenden Beschlusses erfolgt ist, entgegen.

3. Zwar halten nicht alle konkreten Regelungen des SEB einer Inhaltskontrolle stand. So kann die VBL die nach Nr. 4 Sätze 2, 3 SEB errechneten Zinsen nicht verlangen, da diese Regelung die Beklagte unangemessen benachteiligt und demgemäß nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam ist. Gleiches gilt für die in der Zinshöhe gegenüber der Abzinsung differenzierende Aufzinsung (§ 23 Abs. 2 Satz 9 VBLS i.d.F. d. Nr. 2 SEB) und für die unangemessen kurze Entscheidungsfrist des Nr. 5.2 SEB. Allerdings führen diese Gesichtspunkte nicht zu einer Unwirksamkeit der gesamten maßgeblichen Regelung zum Gegenwert.

 

Normenkette

BGB §§ 306-307; VBLS §§ 23, 84a

 

Verfahrensgang

LG Karlsruhe (Urteil vom 22.06.2018; Aktenzeichen 6 O 128/17)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 06.10.2021; Aktenzeichen IV ZR 96/19)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 22.06.2018, Az. 6 O 128/17, unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels im Kostenpunkt aufgehoben und wie folgt abgeändert:

a) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 470.167,28 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.08.2017 zu bezahlen.

b) Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 21 %, die Beklagte 79 %.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien sind befugt, die Vollstreckung durch die jeweils andere Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die jeweils vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin, die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL), macht gegen die Beklagte Zahlungsansprüche im Zusammenhang mit deren Ausscheiden zum 30.06.2010 geltend (Gegenwertforderung).

Die Klägerin, eine Anstalt des öffentlichen Rechts, schließt mit Arbeitgebern des öffentlichen Dienstes (so genannte Beteiligte) Beteiligungsvereinbarungen in Form von Gruppenversicherungsverträgen ab. Auf dieser Grundlage gewährt sie den Arbeitnehmern der Beteiligten nach Maßgabe ihrer Satzung (VBLS) eine zusätzliche Alters-, Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenversorgung.

Die Klägerin wird im Abrechnungsverband West, dem die Beklagte seit dem 01.12.2004 angehörte, seit 1967 über ein Umlageverfahren in Form eines modifizierten Abschnittsdeckungsverfahrens finanziert.

Scheidet ein Beteiligter bei der Klägerin aus, enden die Pflichtversicherungen der beim Beteiligten im Arbeitsverhältnis stehenden Beschäftigten. Die bis zum Ausscheiden von seinen aktiven und ehemaligen Beschäftigten erworbenen Anwartschaften und Leistungsansprüche bleiben jedoch bestehen. Zur Deckung dieser weiterhin zu erfüllenden Verpflichtungen der Klägerin enthielt § 23 Abs. 2 VBLS seit Einführung des Umlageverfahrens die Verpflichtung des ausscheidenden Beteiligten, einen so genannten Gegenwert zu zahlen. Dabei handelt es sich im Grundsatz um den versicherungsmathematischen Barwert der nach dem Ausscheiden des Beteiligten bei der Klägerin verbleibenden und von dieser noch zu erfüllenden Leistungsverpflichtungen.

Nach der Beendigung der Beteiligung der Beklagten forderte die Klägerin diese mit Schreiben vom 30.05.2011 (vgl. Anlage K 3) zur Zahlung des nach einem beigefügten versicherungsmathematischen Gutachten errechneten Gegenwerts zum maßgeblichen Stichtag 01.07.2010 in Höhe von 542.439,84 EUR sowie zur Begleichung der Gutachterkosten in Höhe von 2.175,32 EUR auf. Die Gutachterkosten wurden von der Beklagten beglichen. Ansonsten leistete die Beklagte auf den Gegenwert bis heute keine Zahlungen.

Mit Urteilen vom 10.10.2012 (IV ZR 10/11 und IV ZR 12/11) erklärte der BGH die Gegenwertregelung in § 23 Abs. 2 VBLS a.F. wegen Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB für unwirksam und schloss die entstandene Regelungslücke im Wege ergänzender Vertragsauslegung dahingehend, dass eine Neuregelung des Gegenwerts im Satzungsänderungsverfahren auch für die bereits beendete Beteiligung möglich sein sollte. Konkret beanstandet wurden die völlige Berücksichtigung von Versicherten ohne erfül...

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