Verfahrensgang

LG Karlsruhe (Entscheidung vom 28.04.2021; Aktenzeichen 7 Ns 351 Js 3086/20 jug)

 

Tenor

  1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 28.04.2021 (71 Ns 351 Js 3086/20 jug.) mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Karlsruhe zurückverwiesen.
 

Gründe

I.

Das Amtsgericht - Jugendrichter - Karlsruhe verurteilte den Angeklagten wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe in Höhe von 100 Tagessätzen zu je 20,00 EUR. Zudem hat das Amtsgericht dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, den Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von 12 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Berufung eingelegt, die er in der Berufungshauptverhandlung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat.

Auf die Berufung des Angeklagten hat die 71. Strafkammer - Kleine Jugendkammer - des Landgerichts Karlsruhe am 28.04.2021 das erstinstanzliche Urteil dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte - unter Anwendung von Jugendstrafrecht - verwarnt und ihm aufgegeben wurde, 1.200,00 EUR an [...] zu zahlen. Zudem wurde dem Angeklagten für die Dauer von sechs Monaten verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen. Auf das Fahrverbot wurde die Dauer der Sicherstellung des Führerscheins angerechnet. Der Führerschein wurde dem Angeklagten im Rahmen der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Karlsruhe am 28.04.2021 wieder ausgehändigt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte, auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte und von der Generalstaatsanwaltschaft vertretene Revision der Staatsanwaltschaft, der zumindest vorläufiger Erfolg nicht versagt werden kann.

II.

Der Rechtsfolgenausspruch hält in mehrfacher Hinsicht rechtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Die Erwägungen, mit denen die Jugendkammer das Vorliegen von Reifeverzögerungen iSv § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG angenommen und auf den Angeklagten Jugendstrafrecht angewendet hat, halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Die Strafkammer hat ihre Überzeugung, dass bei dem Angeklagten Reife- und Entwicklungsverzögerungen im Sinne des § 105 Abs.1 Nr. 1 JGG vorliegen, im Wesentlichen mit folgenden Erwägungen begründet:

"Die Kammer hat auf den zum Tatzeitpunkt 20-jährigen heranwachsenden Angeklagten gern. §105 Abs. 1 Nr. 1 JGG in Übereinstimmung mit der Anregung des Vertreters der Jugendgerichtshilfe Jugendstrafrecht angewendet. Der Angeklagte ist seiner Entwicklung nach einem Jugendlichen gleichzustellen. Dies ergibt sich für die Kammer aus einer Gesamtwürdigung der Persönlichkeit. Gerade die Einsichtsfähigkeit in sein Handeln erscheint noch nicht wie bei einem Erwachsenen vorhanden. Außerdem hat der Angeklagte keine selbstständige wirtschaftliche Existenzgrundlage. Seine Persönlichkeitsentwicklung war zur Tatzeit noch nicht abgeschlossen. Zumindest bei der Tat im Januar 2020 bestand noch ein erhebliches Reifedefizit, andererseits war auch noch ein Entwicklungspotential vorhanden. Dies zeigt sich unter anderem auch im völlig verfehlten Verteidigungsverhalten in der ersten Instanz, wo der Angeklagte noch Zeugen "antanzen" ließ, die sich zu der Falschaussage, hinreißen ließen, er sei nicht der Fahrer gewesen (und dafür auch bestraft wurden). Im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung hingegen räumte er den Tatvorwurf ein und zeigte sich reuig und einsichtig."

Diese Begründung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Für die Frage, ob ein heranwachsender Täter zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichsteht, kommt es maßgeblich darauf an, ob sich der einzelne Heranwachsende noch in einer für Jugendliche typischen Entwicklungsphase befindet und in ihm noch in größerem Umfang Entwicklungskräfte wirksam sind (BGH, NStZ 2015, 230, 231). Dies ist aufgrund einer Gesamtwürdigung seiner Persönlichkeit unter Berücksichtigung der Umweltbedingungen zu beurteilen (§ 105 Abs.1 Nr. 1 JGG). Die Bewertungen des Tatrichters müssen dabei mit Tatsachen belegt und nachvollziehbar sein. Sie dürfen keine wesentlichen Gesichtspunkte außer Betracht lassen. Insoweit räumt das Gesetz dem Tatrichter einen weiten Beurteilungsspielraum ein. Die revisionsrechtliche Überprüfung erstreckt sich nur auf das Vorliegen rechtlicher Fehler und nicht auf die inhaltliche Kontrolle der vorgenommenen Bewertung. Zur Ermöglichung der Überprüfung muss der Tatrichter im Einzelnen diejenigen Tatsachen und Schlussfolgerung darlegen, auf denen seine Entscheidung beruht.

Diesen Anforderungen wird das angegriffene Urteil nicht gerecht. Es fehlt an einer umfassenden Würdigung aller wesentlichen Gesichtspunkte. Auch unter Berücksichtigung des dem Tatrichter zustehenden Beurteilungsspielraums begegnen die Erwägungen, mit den...

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