Leitsatz (amtlich)

In den Fällen des Widerrufs eines auf Wunsch des Verbrauchers einverständlich vorzeitig beendeten Darlehensvertrages scheidet einer Verwirkung des Widerrufsrechts regelmäßig aus, wenn abgesehen von der Vertragsbeendigung auf Initiative des Verbrauchers (hier: gegen Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung) - wie typischerweise - keine weiteren Umstände ersichtlich sind, auf welche die Bank ein schutzwürdiges Vertrauen aufbauen könnte, der Verbraucher werde von seinem Widerrufsrecht nach Darlehensablösung keinen Gebrauch mehr machen, und die Bank außerdem keine Vermögensdispositionen in ihrem Geschäftsbetrieb getroffen hat, so dass ihr aus der verspäteten Ausübung des Widerrufsrechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde.

 

Normenkette

BGB-InfoV § 14; BGB §§ 242, 355

 

Verfahrensgang

LG Mannheim (Entscheidung vom 26.11.2015; Aktenzeichen 9 O 146/15)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 16.10.2018; Aktenzeichen XI ZR 69/18)

 

Tenor

I. Das Versäumnisurteil vom 11. Juli 2017 wird aufgehoben.

II. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 26.11.2015, Az. 9 O 146/15, im Kostenpunkt aufgehoben, im Übrigen abgeändert und wie folgt gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 15.280,13 EUR zuzüglich Zinsen aus diesem Betrag in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22. November 2014 zu zahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der Kosten der Säumnis, die der Kläger allein trägt, tragen der Kläger zu 53 Prozent und die Beklagte zu 47 Prozent.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung der Gegenseite durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

V. Die Revision wird zugelassen.

VI. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 32.236,87 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines Darlehenswiderrufs.

Die Parteien schlossen am 28. September 2005 einen Vertrag über ein Darlehen in Höhe von 320.000 EUR. Der Kläger handelte als Verbraucher. Der Sollzins betrug jährlich 3,98 Prozent (4,05 Prozent effektiv) und war bis Ende September 2015 festgeschrieben. Das Darlehen war durch eine Grundschuld und durch die Abtretung der Ansprüche des Klägers aus einer Lebensversicherung gesichert.

Die Vertragsurkunde (Anlage B 1) enthielt folgende, vom Kläger gesondert unterzeichnete Widerrufsbelehrung:

((Abbildung))

Die Beklagte zahlte die Darlehensvaluta an den Kläger aus. Dieser kam bei der Rückführung des Kreditbetrages seit Juli 2006 teilweise mit der Ratenzahlung in Rückstand, weil er unverschuldet in finanzielle Schwierigkeiten geraten war (vgl. Anlagen B 3, B 4). Die Parteien trafen in den Jahren 2008, 2010 und 2011 mehrere Zahlungsvereinbarungen (Anlagen B 5 bis B 9); teilweise vollstreckte die Beklagte offene Beträge (Anlagen B 10 bis B 12). Mitte 2011 veräußerte der Kläger die finanzierte Immobilie. Er trat Ende Juli 2011 an die Beklagte mit dem Wunsch heran, das Darlehen zur Finanzierung einer neuen Immobilie zu nutzen, ggf. zusammen mit seiner neuen Ehefrau (Anlage B 13). Nachdem die Beklagte zurückhaltend reagierte, bat der Beklagte mit Schreiben vom 29. Juli 2011 (Anlage B 15) erneut um eine Weiternutzung des Darlehens und bot hinsichtlich des nicht mehr benötigten Teils die Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung an. "In Anbetracht der Vorgeschichte" lehnte die Beklagte ab und bat um Rückführung des Darlehens (Anlage B 16). Das Darlehen wurde im September 2011 vorzeitig abgelöst, wobei der Kläger eine Vorfälligkeitsentschädigung von 15.287,13 EUR zahlte (Anlage B 3); die Beklagte gab sodann die Sicherheiten frei (Anlagen B 17, B 18).

Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 11. November 2014 (Anlage K 4) widerrief der Kläger den Darlehensvertrag und forderte die Vorfälligkeitsentschädigung unter Fristsetzung bis zum 21. November 2014 zurück. Die Beklagte wies den Widerruf zurück.

Der Kläger hält die Widerrufsbelehrung wegen der Verwendung des Wortes "frühestens" bei der Darstellung des Fristbeginns für nicht ordnungsgemäß. Gesetzlicher Musterschutz greife wegen erheblicher Abweichungen vom gesetzlichen Muster nicht ein. Er verlangte erstinstanzlich die Rückzahlung der Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe von 15.287,13 EUR, einer Zinsdifferenz von 3.501,- EUR sowie die Herausgabe von Nutzungen in Höhe von 5 Prozent p.a., mithin 13.448,74 EUR.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 32.227,78 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.09.2011 zu bezahlen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich

Klageabweisung

beantragt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass gesetzlicher Musterschutz eingreife, da sie allenfalls zutreffende und unschädliche Zusätze ange...

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