Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufungsbeschwer beim Streit über den Zugang zum Benutzerkonto eines sozialen Netzwerks

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wehrt sich der Betreiber des sozialen Netzwerks "Facebook" gegen eine Verurteilung, den Erben Zugang zum Benutzerkonto der verstorbenen Tochter zu gewähren, richtet sich die Berufungsbeschwer nach dem voraussichtlichen Aufwand an Zeit und Kosten, der zur Gewährung des Zugangs notwendig ist. Dieser Aufwand übersteigt einen Betrag von 200 EUR regelmäßig nicht.

2. Eventuelle Geheimhaltungsinteressen Dritter spielen für die Beschwer der vom Landgericht verurteilten Beklagten keine Rolle.

3. Aus den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils kann sich eine konkludente Entscheidung über die Nichtzulassung der Berufung ergeben, wenn die Beschwer der Beklagten 600 EUR nicht übersteigt. Das gilt auch dann, wenn das Landgericht den - an den Interessen der Kläger orientierten - Streitwert auf 10.000 EUR festgesetzt hat.

 

Normenkette

ZPO § 511 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Freiburg i. Br. (Aktenzeichen 5 O 169/18)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 30.11.2018 - 5 O 169/18 - wird als unzulässig verworfen.

2. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 200,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Kläger sind die gesetzlichen Erben ihrer Tochter A. E.. Die im Jahr 1991 geborene Tochter der Kläger verstarb zwischen dem 06.12.2013 und dem 09.12.2013. Bis zu ihrem Tod unterhielt die Tochter der Kläger im sozialen Netzwerk "Facebook" ein Benutzerkonto unter einem bestimmten Nutzernamen. Die Beklagte betreibt das soziale Netzwerk "Facebook".

Das Benutzerkonto wurde nach dem Tod der Tochter der Kläger von der Beklagten in einen sogenannten "Gedenkzustand" versetzt. Diese Maßnahme erfolgte ohne Mitwirkung und ohne Kenntnis der Kläger. Der "Gedenkzustand" bewirkt, dass den Klägern als Erben ihrer Tochter ein Zugang zum Benutzerkonto nicht möglich ist und sie insbesondere keine Kenntnis von den Nachrichten und Texten erhalten können, die vor dem Tod der Tochter auf dem Konto eingestellt wurden.

Die Kläger haben vorprozessual von der Beklagten verlangt, ihnen einen Zugang zum Benutzerkonto ihrer Tochter zu verschaffen. Die Beklagte hat dies unter Hinweis auf ihre Nutzungsbedingungen verweigert.

Mit ihrer Klage zum Landgericht haben die Kläger einen Anspruch auf Zugang zum Benutzerkonto ihrer Tochter gegen die Beklagte geltend gemacht. Die Tochter sei plötzlich und unter nicht genau geklärten Umständen verstorben. Die Kläger hofften, über den Facebook-Account ihrer Tochter etwaige Hinweise über mögliche Absichten, Motive oder Umstände zum Tod ihrer Tochter zu erfahren. Die Beklagte ist der Klage mit verschiedenen Einwendungen entgegengetreten.

Mit Urteil vom 30.11.2018 hat das Landgericht die Beklagte wie folgt verurteilt:

Die Beklagte wird verurteilt, der Erbengemeinschaft nach Frau A. E., bestehend aus Frau C. E. und Herrn R. E., Zugang zu dem vollständigen Benutzerkonto und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten der Verstorbenen A. E. bei dem sozialen Netzwerk Facebook unter dem Nutzerkonto "C. . . ." zu gewähren.

Außerdem hat das Landgericht die Beklagte zur Zahlung von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 492,54 EUR nebst Zinsen verurteilt. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, die Kläger seien als Erben in den von ihrer verstorbenen Tochter mit der Beklagten abgeschlossenen Nutzungsvertrag eingetreten. Daher sei die Beklagte verpflichtet, den Klägern Zugang zum Nutzerkonto der Tochter zu verschaffen. Es gebe aus Rechtsgründen keine Vertraulichkeitsinteressen Dritter, die diesem Anspruch entgegenstehen könnten. Das Landgericht hat im Übrigen auf die rechtlichen Erwägungen des Bundesgerichtshofs im Urteil vom 12.07.2018 in einem ähnlichen Fall (vgl. BGH, NJW 2018, 3178) verwiesen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Beklagten. Der vorliegende Fall unterscheide sich in verschiedenen Einzelheiten von dem Sachverhalt, welcher Gegenstand der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 12.07.2018 gewesen sei. Aus mehreren Gründen, welche die Beklagte erläutert, bestehe im vorliegenden Fall kein Anspruch der Kläger auf Zugang zum Facebook-Benutzerkonto ihrer Tochter.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Freiburg im Breisgau vom 31.11.2018, Az: 5 O 169/18, aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Kläger verteidigen das Urteil des Landgerichts. Entgegen der Auffassung der Beklagten seien die Grundsätze aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 12.07.2018 anwendbar. In allen entscheidungserheblichen Umständen entspreche der Sachverhalt im vorliegenden Fall dem Sachverhalt in der zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs.

Mit Verfügung vom 07.09.2020 hat der Vorsitzende des Senats darauf hingewiesen, dass Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung bestehen, da der Wert der Beschwer 600,00 EUR nicht übersteigen dürfte. Die Parteien hatten Ge...

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