Entscheidungsstichwort (Thema)

Sachverständigenablehnung: Unterbliebene Benachrichtigung einer der Parteien vom Ortstermin

 

Leitsatz (amtlich)

1. Führt ein Sachverständiger zur Vorbereitung seines Gutachtens eine Orts- und Sachbesichtigung in Anwesenheit nur einer der Parteien durch, ohne die andere benachrichtigt und ihr Gelegenheit zur Teilnahme gegeben zu haben, so rechtfertigt dies die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit. Dabei ist es unerheblich, ob die fehlende Unterrichtung der abwesenden Partei über den Ortstermin auf einem Versehen beruhte und ob es zu einer Einflussnahme durch die anwesende Partei gekommen ist.

2. Die Möglichkeit, die anlässlich eines Ortstermins getroffenen Feststellungen zu wiederholen, vermag das durch die unterbliebene Unterrichtung vom Termin bei der benachteiligten Partei begründete Misstrauen nicht auszuräumen.

 

Verfahrensgang

LG Offenburg (Beschluss vom 07.05.2009; Aktenzeichen 1 OH 7/08)

 

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des LG Offenburg vom 7.5.2009 (1 OH 7/08) dahin geändert, dass die Ablehnung des Sachverständigen Prof. Dr. Ing. J. P. durch die Antragsgegnerin für begründet erklärt wird.

2. Die Antragsteller haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

3. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf EUR 3.000 festgesetzt.

 

Gründe

I. Mit der angefochtenen Entscheidung hat das LG die von der Antragsgegnerin erklärte Ablehnung des Sachverständigen Prof. Dr. Ing. J. P. wegen Besorgnis der Befangenheit zurückgewiesen. Die unterbliebene Benachrichtigung der Antragsgegnerin und ihres Prozessbevollmächtigten über den am 13.3.2009 durchgeführten zweiten Ortstermin genüge unter den konkreten Umständen des vorliegenden Falles noch nicht, um in den Augen einer vernünftigen Partei Zweifel an der Unparteilichkeit des Sachverständigen zu wecken. Zwar sei der Umstand, dass nur der einen Partei, die vom Ortstermin Kenntnis hatte, die Möglichkeit der Anwesenheit und Einflussnahme auf den Sachverständigen gegeben werde, wegen Verstoßes gegen das Gebot der Waffengleichheit grundsätzlich geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen. Im vorliegenden Fall sei aber zu berücksichtigen, dass es sich um einen zweiten Ortstermin gehandelt habe, bei dem nur noch ergänzende Feststellungen getroffen werden sollten, wobei es sich um objektiv reproduzierbare, jederzeit wiederholbare Messungen gehandelt habe, die von der Anwesenheit der Parteien und deren etwaigen Äußerungen gänzlich unabhängig seien. Auch habe die Antragsgegnerin nicht behauptet und glaubhaft gemacht, dass die Antragsteller bei diesem Ortstermin anwesend oder vertreten gewesen seien, weshalb ein Verstoß gegen das Gebot der Waffengleichheit nicht dargetan sei. Schließlich sei die Benachrichtigung der Antragsgegnerin nicht aus bösem Willen, sondern infolge eines bloßen Versehens des Sachverständigen unterblieben und habe der Sachverständige sogleich eine kostenlose Wiederholung des Meßtermins angeboten.

Mit der sofortigen Beschwerde verfolgt die Antragsgegnerin ihr Ablehnungsgesuch weiter.

II. Die sofortige Beschwerde ist gem. § 406 Abs. 5 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist auch begründet.

Zutreffend hat das LG darauf hingewiesen, dass es für die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit nach § 406 Abs. 1, 42 Abs. 2 ZPO nicht darauf ankommt, ob das Gericht Zweifel an der Unparteilichkeit des Sachverständigen hat. Vielmehr ist bereits ausreichend, dass vom Standpunkt der ablehnenden Partei aus ein objektiver Grund gegeben ist, der in den Augen eines vernünftigen Menschen geeignet ist, Zweifel an der Unparteilichkeit und Objektivität des Sachverständigen zu erregen (BGH NJW 1975, 1363; OLG Bremen OLGReport Bremen 2009, 700). Ob diese Voraussetzung bei unterbliebener Benachrichtigung der Parteien von einem vom Sachverständigen durchgeführten Ortstermin bereits unter dem Gesichtspunkt der versagten Parteiöffentlichkeit gegeben ist, ist umstritten (vgl. OLG Dresden NJW-RR 1997, 1354 m. N.). Führt ein Sachverständiger jedoch zur Vorbereitung seines Gutachtens eine Orts- und Sachbesichtigung in Anwesenheit nur einer der Parteien durch, ohne die andere zu benachrichtigen und ihr Gelegenheit zur Teilnahme zu geben, so lässt ihn dies nach herrschender Meinung als befangen erscheinen (BGH NJW 1975, 1363; OLG Bremen OLGReport Bremen 2009, 700; OLG Frankfurt OLGReport Frankfurt 2009, 573; OLG Saarbrücken OLGReport Saarbrücken 2007, 636; OLG Nürnberg MDR 2007, 237; OLG Jena MDR 2000, 169; OLG Oldenburg BauR 2004, 1817; OLG Koblenz MDR 2004, 831; OLG München NJW-RR 1998, 1687; OLG Dresden NJW-RR 1997, 1354, 1355; Greger in Zöller, ZPO, 27. Aufl., § 406 Rz. 8; Leipold in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 406 Rz. 28; Huber in: Musielak, ZPO, 7. Aufl., § 406 Rz. 6; Reichold in: Thomas/Putzo, ZPO, 29. Aufl., § 406 Rz. 2). Dies rechtfertigt sich auf der objektiven Ebene aus einem Verstoß gegen das Gebot der Waffengleichheit, weil sich der Sachverständige der einseitigen Einflussnah...

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