Leitsatz (amtlich)

1. Die Zahlung des Arbeitsfördergeldes ist eine Sozialleistung i.S.d. § 11 SGB I. Sie ist dazu bestimmt, die unfallbedingte Einschränkung oder Unfähigkeit des in einer Werkstatt für behinderte Menschen tätigen Geschädigten, ein höheres Einkommen zu erzielen, zu kompensieren.

2. Bei den auf das Arbeitsentgelt des Geschädigten in einer Behindertenwerkstätte entfallenden Sozialversicherungsbeiträgen handelt es sich um eine Sozialleistung i.S.d. § 11 SGB I.

3. Die dem allgemeinen Lebensbedarf eines jeden Menschen entsprechenden Unterbringungskosten sind mit dem Erwerbsschaden des Gewschädigten kongruent.

 

Normenkette

StVG § 7; SGB X § 116; SGB IX § 41 Abs. 1; SGB I § 11; SGB VII § 53 Abs. 3; SGB XII §§ 35, 27b, 42; SGB V § 251 Abs. 2 S. 2; ZPO § 256

 

Verfahrensgang

LG Siegen (Urteil vom 08.09.2015; Aktenzeichen 1 O 254/13)

 

Tenor

Auf die Berufungen beider Parteien wird das am 08.09.2015 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des LG Siegen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, über titulierte 29.554,76 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 21.754,76 EUR seit dem 30.12.2013 und aus 7.800,00 EUR seit dem 04.11.2014 hinaus weitere 3.940,32 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basis-zinssatz seit dem 30.12.2013 an den Kläger zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die übergangsfähigen Ansprüche zu erfüllen und die berechtigten Aufwendungen des Klägers zu ersetzen, soweit dieser als Folge der Verletzungen des Herrn C, geboren am ... 1985 aus dem Verkehrsunfall vom 12.09.1996 auf der Landstraße nach B vor dem Ort F Sozialversicherungsbeiträge für den Geschädigten erbringt.

Die weiter gehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen, die weiter gehende Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen der Kläger zu 60 % und die Beklagte zu 40 %.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beiden Parteien wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der jeweils anderen Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die jeweils vollstreckende Partei vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 71.576,32 EUR festgesetzt.

 

Gründe

Der Kläger ist Träger der Sozialhilfe und nimmt die Beklagte auf Erstattung ihrer Aufwendungen aus übergegangenem Recht in Anspruch. Hintergrund ist ein Unfall, bei dem der damals 10-jährige C (im Weiteren:der Geschädigte) schwer verletzt wurde. Sein Großvater fuhr das bei der Beklagten versicherte Fahrzeug, dessen Insasse der Geschädigte war, und verschuldete den Unfall.

Der Geschädigte erlitt ein Schädelhirntrauma 4. Grades sowie multiple Kontusionsblutungen, ein Hirnödem und weitere Verletzungen, die dazu führten, dass er in einem Wohnheim für Behinderte untergebracht und in einer Behindertenwerkstätte tätig ist.

Der Kläger erbrachte umfangreiche Leistungen für den Geschädigten, und zwar Werkstattkosten, die sich aus Arbeitsfördergeld und Sozialversicherungsbeiträgen sowie weiteren unstreitigen Kosten zusammensetzen, ferner Kosten für die stationäre Unterbringung des Geschädigten.

Die Beklagte, die ihre Einstandspflicht dem Grunde nach in vollem Umfang anerkennt, zahlte auf die begehrten Beträge Leistungen unter Abzug des Arbeitsfördergeldes, der Sozialversicherungsbeiträge, der Fahrtkosten, des vom Heim an den Geschädigten ausgezahlten Barbetrages und der Kleiderkosten sowie einer Eigen- ersparnis für ersparte Wohn- und Verpflegungskosten.

Insgesamt hat die Beklagte von den durch den Kläger erbrachten Leistungen für die Jahre 2010 bis 2012 Arbeitsfördergelder und Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 4.876,32 EUR, Fahrtkosten in Höhe von 9.318,76 EUR, Barbeträge in Höhe von 2.523,59 EUR, Kleidergeld in Höhe von 450,00 EUR und eine Eigenersparnis des Geschädigten in Höhe von 16.900,00 EUR in Abzug gebracht. Offengeblieben sind ferner vom Kläger im Jahre 2013 geleistete Heimunterbringungskosten in Höhe von 9.260,98 EUR.

Die Beklagte schloss mit dem Geschädigten, vertreten durch seine Eltern, am 08.10.2001 einen Abfindungsvergleich über eine Summe von 450.000,00,- DM zur Abfindung aller bisherigen und künftigen Ansprüche aus dem Schadensereignis, womit auch Erwerbsschadensersatzansprüche abgegolten sein sollten, die sich zu diesem Zeitpunkt noch in der Hand des Geschädigten befanden.

Des Weiteren schloss die Beklagte eine Abfindungsvereinbarung mit der für den geschädigten zuständigen Pflegekasse, der B1, derzufolge mit einer Zahlung von 200.000,- EUR auf die B1 übergegangene Ersatzansprüche des Geschädigten wegen unfallbedingter Heilbehandlungskosten und künftig entstehender vermehrter Bedürfnisse endgültig abgegolten sein sollten.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, es bestehe sachliche und zeitliche Kongruenz zwische...

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