Leitsatz (amtlich)

Die Tätigkeit eines aufgrund eines Verkehrsunfalls schwer verletzten und dauerhaft Hirngeschädigten in einer Werkstatt für behinderte Menschen begründet vermehrte Bedürfnisse im Sinne von § 843 Abs. 1 BGB und ist nicht mit einem Verdienstausfallschaden gleichzusetzen, den der Geschädigte erleidet, weil er nach dem Unfall seine frühere Erwerbstätigkeit auf dem sog. ersten Arbeitsmarkt nicht mehr ausüben kann.

 

Normenkette

BGB §§ 823, 843; SGB X § 116 I; StVG §§ 7, 18; VVG § 115

 

Verfahrensgang

LG Arnsberg (Aktenzeichen 2 O 614/13)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 13. März 2020 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Arnsberg teilweise abgeändert und hinsichtlich des Feststellungsausspruchs neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger über die erstinstanzlich ausgeurteilten Beträge hinaus weitere 64.875,13 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 05.06.2019 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, alle weiteren Aufwendungen des Klägers zu ersetzen, die dieser aufgrund der Übernahme von Sozialversicherungsbeiträgen und der Kosten wegen vermehrter Bedürfnisse des Herrn S, geboren am ...1960, T-Straße 1, C, infolge dessen Unterbringung in einer Werkstatt für behinderte Menschen als Folge dessen Verkehrsunfalls vom ...2003 in C1 erbringt.

Die Anschlussberufung der Beklagten gegen das vorgenannte Urteil wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Der Kläger als überörtlicher Sozialhilfeträger verlangt von dem beklagten Kfz-Haftpflichtversicherer Ersatz erbrachter Aufwendungen sowie Feststellung der Einstandspflicht für zukünftige Aufwendungen, welche er nach seiner Darlegung im Rahmen der Sozialhilfe aufgrund der Beschäftigung des Herrn S in den Caritas-Werkstätten B seit dem 01.05.2010 erbringt. S wurde bei einem Verkehrsunfall vom ...2003 in C1, welchen der Versicherungsnehmer der Beklagten F allein verschuldet hatte, schwer verletzt.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 540 ZPO auf die Feststellungen in dem angefochtenen Urteil verwiesen.

Das Landgericht hat nach uneidlicher Vernehmung des Zeugen D und Einholung von schriftlichen Gutachten jeweils nebst ergänzender mündlicher Anhörung der Sachverständigen U und V der Klage teilweise stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Der Kläger habe im Zeitraum 01.05.2010 bis 31.12.2017 aufgrund der Beschäftigung des Geschädigten S in der Werkstatt für behinderte Menschen Aufwendungen in Höhe von 122.152,49 Euro gehabt, die grundsätzlich erstattungsfähig seien. Zwischen den Kosten für die Maßnahme und dem Verdienstausfall des Geschädigten bestehe sachliche Kongruenz, weil es um den Ausgleich seiner wirtschaftlichen Beeinträchtigungen gehe, die darauf beruhten, dass er seine Arbeitskraft verletzungsbedingt nicht mehr in vollem Umfang einsetzen könne. Mithin seien auch die gezahlten Sozialversicherungsbeiträge zu erstatten, bei denen es sich um eine Sozialleistung handele, die der Kompensation des Erwerbsschadens zu dienen bestimmt sein.

Der Erwerbsschaden beruhe ausschließlich auf dem Unfallereignis vom ...2003. Aufgrund der Beweisaufnahme stehe fest, dass die Unfähigkeit von Herrn S, seinen erlernten Beruf als Kfz-Mechaniker auszuüben, auf die unfallbedingte Hirnschädigung, nicht jedoch auf eine unfallunabhängige Spinalkanalstenose zurückzuführen sei. Weil die schwere Hirnschädigung sogleich eine Einschränkung der Erwerbsfähigkeit habe befürchten lassen, sei der Anspruchsübergang auf den Kläger sogleich erfolgt.

Jedoch sei der Ersatzanspruch des Geschädigten nur in dem Umfang auf den Kläger übergegangen, wie er bei diesem entstanden sei. Der monatliche Nettoverdienst des Geschädigten habe durchschnittlich ca. 2.200,00 Euro betragen. Davon seien 10 % wegen Ersparnis berufsbezogener Aufwendungen und zudem aus dem Gesichtspunkt des Vorteilsausgleichs auch die Erwerbsminderungsrente von monatlich 1.357,42 Euro abzuziehen, weshalb ein monatlicher Betrag von 622,58 Euro verbleibe. Hingegen sei der weitere Betrag von 325,00 Euro, welchen der Geschädigte von der Werkstatt monatlich erhalte, nicht anzurechnen, weil mit dieser Zahlung nicht der Schädiger entlastet werden solle. Der Feststellungsantrag sei begründet.

Mit seiner Berufung wendet sich der Kläger gegen die Auffassung des Landgerichts, dass seine für die Unterbringung des Geschädigten in der Behindertenwerkstatt erbrachten Leistungen mit dem Verdienstausfallschaden kongruent seien. Es handele sich vielmehr um ...

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