Leitsatz (amtlich)

Fährt ein Kraftfahrer unter Verkennung der vor ihm befindlichen erkennbaren Verkehrssituation (Rückstau vor einer roten Ampel) und trotz einer sichtbar folgenden Straßenbahn in den überdies mit einer - lediglich zur Schaffung einer Abbiegemöglichkeit unterbrochenen - Sperrflächenmarkierung (Zeichen 298) versehenen Gleisbereich auf der linken Fahrspur ein, um das auf der rechten Fahrspur vor ihm befindliche Fahrzeug zu passieren, und zieht er seinen Pkw nach Erkennen des Rückstaues auf die rechte Fahrspur zurück, ohne den Gleisbereich vollständig zu räumen, so tritt auch die naturgemäß erhöhte Betriebsgefahr der dann auffahrenden Straßenbahn hinter der verschuldensbedingt erhöhten Betriebsgefahr des Pkw ganz zurück.

In diesem Fall spricht auch kein Anschein für ein Verschulden des Straßenbahnführers.

 

Normenkette

BGB § 823; HaftpflG §§ 1, 4; StVG §§ 7, 17; StVO § 2 Abs. 3, § 41 Abs. 3 Ziff. 6

 

Verfahrensgang

LG Essen (Urteil vom 03.05.2004; Aktenzeichen 3 O 148/03)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 3.5.2004 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des LG Essen wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufungsinstanz trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. 1. Wegen des erstinstanzlich vorgetragenen Sachverhalts und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen.

Das LG hat mit der aus dem angefochtenen Urteil ersichtlichen Begründung die Klage insgesamt abgewiesen und der (gegen den Kläger und seinen Sohn, den Widerbeklagten zu 2), gerichteten) Widerklage der Beklagten zu 2) in vollem Umfang stattgegeben.

2. Mit seiner gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung wendet der Kläger sich lediglich gegen die vollständige Abweisung seiner Klage. Er begehrt nunmehr noch die - das angefochtene Urteil teilweise abändernde - Verurteilung der Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 2.054,92 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.10.2002. Zur Begründung führt er ergänzend im Wesentlichen aus:

Das angefochtene Urteil sei rechtsfehlerhaft. Bei rechtlich zutreffender Würdigung sei von einer Mithaftung der Beklagten zu 50 % auszugehen.

Die Beklagte zu 2) hafte einmal gem. § 1 Abs. 1 HaftpflG; der Entlastungsbeweis nach § 1 Abs. 2 HaftpflG sei - insoweit unstreitig - nicht geführt. Die Beklagte zu 2) hafte ferner nach § 831 BGB als Geschäftsherrin des Beklagten zu 1), der als ihr Verrichtungsgehilfe in Ausführung der ihm obliegenden Aufgaben widerrechtlich dem Kläger Schaden zugefügt habe. Auf ein Verschulden des Beklagten zu 1) komme es insoweit nicht an. Vielmehr müsse die Beklagte zu 2) sich gem. § 831 Abs. 1 S. 2 BGB entlasten, wobei Zweifel zu ihren Lasten gingen. Der Entlastungsbeweis sei nicht geführt. Insoweit habe die Beklagte zu 2) erstinstanzlich schon nicht vorgetragen; neues Vorbringen hierzu sei nicht berücksichtigungsfähig (§ 531 ZPO).

Die Haftung des Beklagten zu 1) ergebe sich aus § 823 BGB. Entgegen der Annahme des LG sei von einem Verschulden des Beklagten zu 1) auszugehen. Gegen diesen spreche nämlich der Beweis des ersten Anscheins, da er auf das klägerische Fahrzeug aufgefahren sei.

Nach den Feststellungen des Sachverständigen könne der Kläger sich allerdings nicht auf § 7 Abs. 2 StVG berufen. Soweit jedoch das LG ein dem Kläger zurechenbares Verschulden des Widerbeklagten zu 2) (und Sohnes des Klägers) angenommen habe, habe es schon nicht aufgezeigt, gegen welche gesetzlich normierte Verpflichtung hier schuldhaft verstoßen worden sein solle. Jedenfalls könne nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme nur ein (dem Kläger zurechenbares) gering zu bewertendes Verschulden des Widerbeklagten zu 2) angenommen werden; insb. sei nicht bewiesen, dass dieser unmittelbar und in geringem Abstand vor der Straßenbahn nach links ausgeschert sei. Das vorgenannte Verschulden rechtfertige keine alleinige Haftung des Klägers; vielmehr sei unter Berücksichtigung der höheren Betriebsgefahr der vom Beklagten zu 1) geführten Straßenbahn eine Haftungsquote von 50 % anzunehmen.

3. Die Beklagten verteidigen das angefochtene Urteil und begehren dementsprechend die Zurückweisung der klägerischen Berufung. Sie führen ergänzend im Wesentlichen aus:

Die (ja auch vom Haftpflichtversicherer des Klägers akzeptierte) Entscheidung des LG sei im Ergebnis nicht zu beanstanden, da der streitgegenständliche Unfall ausschließlich durch den Sohn des Klägers (den Widerbeklagten zu 2)) schuldhaft verursacht worden sei, indem dieser sich rücksichtslos, unter Verkennung der Verkehrssituation vor ihm (Stau vor der roten Ampel) und unter Verstoß gegen § 2 Abs. 3 StVO auf den Straßenbahnschienen eingeordnet habe, um schneller voranzukommen, obwohl ihm die vom Beklagten zu 1) geführte Straßenbahn unmittelbar gefolgt sei. Angesichts des geringen Abstandes zwischen Straßenbahn und klägerischem Pkw habe sich die spezielle Betriebsgefahr der Straßenbahn (fehlende Ausweichmöglichkeit, Schwerfälligkeit) hier über...

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