Leitsatz (amtlich)

Zur Frage der Übertragung der Räum- und Streupflicht auf die Anlieger und der dann bei dem übertragenden Hoheitsträger verbleibenden Kontrollpflicht.

 

Normenkette

BGB § 839 i.V.m; GG Art. 34; StrWG NRW §§ 9, 9a, 47

 

Verfahrensgang

LG Bielefeld (Aktenzeichen 1 O 231/16)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird an das am 12. Juni 2020 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 1. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Anschlussberufung der Klägerin gegen das vorgenannte Urteil wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtstreits einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Streithelfer.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

(ohne Tatbestand gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1, 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO)

I. Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg und führt zur Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung dahin, dass die Klage insgesamt abzuweisen ist.

Die Klage ist unbegründet. Der Klägerin steht aufgrund des Unfallgeschehens vom 24.01.2015 auf der C Straße in D kein Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz zu. Entsprechende Ansprüche der Klägerin aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG und §§ 9, 9a, 47 Abs. 1 StrWG NRW als der hier einzig ernsthaft in Betracht kommende Anspruchsgrundlage scheitern daran, dass die Beklagte wegen Übertragung des Winterdienstes auf die Streithelfer nicht zu eigenen Räum- und Streumaßnahmen an der Unfallstelle verpflichtet gewesen ist (1.) und hinsichtlich der der Beklagten zur Last fallende Verletzung ihrer allgemeinen Kontrollpflicht, ob die von ihr mit der städtischen Reinigungssatzung auf die Anlieger übertragende Winterwartungsarbeiten auch tatsächlich von diesen ausgeführt werden, nicht festgestellt werden kann, dass diese für den Sturz der Klägerin kausal geworden ist (2).

1. Die Beklagte war nicht verpflichtet, vor dem Sturz der Klägerin an der von dieser behaupteten Unfallstelle selbst Räum- und Streumaßnahmen durchzuführen.

a) Nach ihrem Behaupten will die Klägerin zum Unfallzeitpunkt vom T- Weg kommend die C Straße in Richtung N Straße auf dem rechts von der C Straße gelegenen gepflasterten Streifen entlanggegangen und kurz vor Erreichen dessen Endes an der auf den Lichtbildern Blatt 15 der Akte gezeichneten Stelle infolge Schnee- und Eisglätte zu Fall gekommen sein. Nach den zutreffenden und mit der Berufung - auch von den Streithelfern - nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts handelt es sich bei dem gepflasterten Streifen um einen für den Fußgängerverkehr vorgesehenen Gehweg. Für diesen hatte aber die Beklagte mit ihrer zum Unfallzeitpunkt gültigen Straßenreinigungs- und Gebührensatzung vom 23.11.1978 in der Fassung der 34. Änderungssatzung vom 15.12.2014 die Reinigungspflicht einschließlich der Winterwartung wirksam auf die Streithelfer übertragen.

Mit § 2 Absatz 1 der genannten Satzung wurde von der Beklagten die Reinigungspflicht für die Straßen, zu der nach § 1 Absatz 2 der Satzung auch die Winterwartung gehört, in dem in § 3 und § 4 der Satzung festgelegten Umfang den Eigentümern und Eigentümerinnen der an sie angrenzenden und durch sie erschlossenen Grundstücke auferlegt. Gemäß § 3 Absatz 1 Satz 3 der Satzung erstreckt sich die Reinigungspflicht einschließlich der Winterwartung bei Straßen der Reinigungsklasse 08, zu denen unstreitig auch die C Straße gehört, (nur) auf die Gehwege. Das Grundstück Gemarkung G 1, welches ausweislich der vom Landgericht eingeholten Auskunft des Katasteramtes der Stadt D im Eigentum der Streithelfer steht, grenzt ausweislich der der Auskunft beigeführten Flurkarte unmittelbar an die C Straße an. Es wird auch im Sinne von § 2 Absatz 1 Satz 1 der Satzung durch die C Straße erschlossen. Denn nach § 5 der Satzung reicht hierfür aus, dass der Eigentümer oder die Eigentümerin die tatsächliche und rechtliche "Möglichkeit" hat, von der Erschließungsanlage eine Zufahrt oder wenigstens einen Zugang zu seinem oder ihrem Grundstück zu nehmen, ohne dass dabei von Belang ist, ob er von dieser Möglichkeit auch tatsächlich Gebrauch gemacht hat. Dabei stellt § 5 Satz 1 der Satzung ergänzend klar, dass die Möglichkeit zur Schaffung eines entsprechenden Zugangsweges in der Regel auch dann besteht, wenn das Grundstück durch Anlagen wie Gräben, Böschungen, Grünanlagen, Mauern oder in ähnlicher Weise von der Straße getrennt ist. Damit steht weiter im Einklang, dass nach § 2 Absatz 1 Satz 3 der Satzung die Reinigungspflicht für den angrenzenden Grundstückseigentümer auch dann besteht, wenn zwischen seinem Grundstück und der Straße ein Böschung, ein Rasenstreifen, eine gärtnerische oder sonstige zum Straßengelände gehörende Anlage oder ein dem Fahrzeugverkehr dienender Parkstreifen liegt. Eine hiervon abweichende Regelung sieht § 2 Absatz 1 Satz 4 der Satzung allein für den Fall vor, dass das angrenzende Grundstück nach der Straße hin durch einen Wasserlauf, offene Gräben oder sonstige wasserwirtschaf...

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