Leitsatz (amtlich)

1. Zur Feststellung eines Verstoßes gegen § 7 Abs. 5 StVO bei einem berührungslosen Unfall auf einer Bundesautobahn nach einem Spurwechsel.

2. Die Betriebsgefahr des Überholenden kann trotz Überschreitung der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h ausscheiden, wenn - wie hier - feststeht, dass sich diese nicht auf die Entstehung des Verkehrsunfalls ausgewirkt hat (in Fortschreibung zu BGH Urt. v. 17.03.1992 - VI ZR 62/91, BGHZ 117, 337 = juris Rn. 17; in einzelfallbezogener Abgrenzung zu OLG Hamm Urt. v. 15.5.2018 - 7 U 45/17).

 

Normenkette

StVG §§ 7, 17 Abs. 2; StVO § 7 Abs. 5

 

Verfahrensgang

LG Arnsberg (Aktenzeichen 1 O 183/19)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 27.09.2021 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 1. Zivilkammer des Landgerichts Arnsberg - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen - abgeändert.

Die Beklagten werden verurteilt, an die Klägerin als Gesamtschuldner 14.509,07 EUR sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.029,35 EUR jeweils nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.05.2019 zu zahlen.

Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1, 544 Abs. 2 ZPO abgesehen.

II. Die zulässige Berufung ist überwiegend begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz gemäß §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, Abs. 2, 18 Abs. 1, Abs. 3 StVG, 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 4 VVG, 249 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, 421 BGB in Höhe von 14.509,07 EUR sowie vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.029,35 EUR.

1. Die Beklagten haften dem Grunde nach gemäß den vorstehenden Vorschriften für die Folgen des Verkehrsunfalls.

a. Nach § 7 Abs. 1 StVG ist, wenn bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs eine Sache beschädigt wird, der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 StVG ist in den Fällen des § 7 Abs. 1 StVG auch der Führer des Kraftfahrzeugs zum Ersatz des Schadens verpflichtet.

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Verkehrsunfall, bei dem das Fahrzeug der Klägerin auf der linken Seite beschädigt worden ist, hat sich "bei dem Betrieb" des vom Beklagten zu 1) geführten Fahrzeugs ereignet, dessen Halterin die Beklagte zu 2) ist.

Dem steht nicht entgegen, dass sich die Fahrzeuge nach den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen, die sich die Klägerin im Berufungsverfahren zu Eigen gemacht hat, nicht berührt haben. Die Halterhaftung kann auch dann eingreifen, wenn es nicht zu einer Berührung zwischen den am Unfallgeschehen beteiligten Kraftfahrzeugen gekommen und der Unfall mittelbar durch das andere Kraftfahrzeug verursacht worden ist. Allerdings reicht die bloße Anwesenheit des Kraftfahrzeugs an der Unfallstelle dafür nicht aus. Das Kraftfahrzeug muss durch seine Fahrweise (oder sonstige Verkehrsbeeinflussung) zu der Entstehung des Schadens beigetragen haben (vgl. BGH Urt. v. 22.11.2016 - VI ZR 533/15, Rn. 14, juris).

Dies ist vorliegend nach beiden Unfalldarstellungen der Fall. Auch nach dem Vorbringen der Beklagten ist der Fahrstreifenwechsel des Beklagten zu 1) in dem Sinne verkehrsbeeinflussend gewesen, als dass der Zeuge A hierdurch letztlich zu einer Ausweichreaktion aufgefordert wurde.

b. Die Beklagte zu 3) haftet gegenüber der Klägerin als Kfz-Haftpflichtversicherung gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG, § 1 PflVG wie der Halter des Fahrzeugs.

2. Da der Schaden durch mehrere Kraftfahrzeuge verursacht worden ist, richtet sich die Frage, in welchem Umfang die Beklagten für die Schadensfolgen des Verkehrsunfalls einzustehen haben, nach §§ 17, 18 Abs. 3 StVG. Dabei kann dahinstehen, ob der Verkehrsunfall für den Zeugen A gemäß § 17 Abs. 3 StVG unabwendbar gewesen ist, da die gemäß § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG vorzunehmende Abwägung jedenfalls dazu führt, dass die Beklagten vollumfänglich für die Folgen des Verkehrsunfalls einzustehen haben.

a. Nach § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG hängt im Verhältnis der Fahrzeughalter zueinander die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, wie weit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Die Abwägung ist aufgrund aller festgestellten, das heißt unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, die sich auf den Unfall ausgewirkt haben. In erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben. Ein Faktor bei der Abwägung ist dabei das beiderseitige Verschulden (vgl. BGH Urt. v. 15.5.2018 - VI ZR 231/17, Rn. 10, beck-online). Darüber hinaus ist die konkrete Betriebsgefahr der beteiligten Kraftfahrzeuge von Bedeutung (vgl. Scholten in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehr...

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