Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Pflicht zum Einsatz des Vermögensstamms bei Elternunterhalt. Elternunterhalt: Berechnung und Verwirkung des Unterhaltsanspruchs

 

Leitsatz (redaktionell)

Bei der Beurteilung der Frage, ob der Schuldner eines Anspruchs auf Elternunterhalt zum Einsatz seines Vermögensstamms verpflichtet ist, ist zu berücksichtigen, dass der Elternunterhalt wesentlich schwächer ausgestaltet ist als der Kindes- oder Ehegattenunterhalt. Des Weiteren ist von Bedeutung, ob der Schuldner seine Vermögensdispositionen bei der Anlage seines Vermögens zu einem Zeitpunkt getroffen hat, in dem Elternunterhalt noch nicht geschuldet wurde.

 

Normenkette

BGB § 1611; SGB XII § 94 Abs. 3 Nr. 2

 

Verfahrensgang

AG Bottrop (Urteil vom 14.11.2008; Aktenzeichen 14 F 187/08)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 14.11.2008 verkündete Urteil des AG - Familiengericht - Bottrop unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung der Klägerin im Übrigen und der Zurückweisung der Berufung des Beklagten abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für seine am 30.9.1935 geborene Mutter

a) für die Monate November 2005 bis einschließlich April 2008 einen Unterhaltsrückstand i.H.v. 21.030 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus jeweils 701 EUR für jeden Monat ab November 2005 seit dem jeweiligen Monatsersten,

b) von Mai bis einschließlich Dezember 2008 laufenden Elternunterhalt i.H.v. 701 EUR monatlich

c) von Januar bis einschließlich Juni 2009 laufenden Elternunterhalt i.H.v. 674 EUR monatlich und

d) ab Juli 2009 laufenden Elternunterhalt i.H.v. 701 EUR monatlich zu zahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz werden dem Beklagten auferlegt.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch die Klägerin durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 110 % der jeweils aufgrund dieses Urteils zu vollstreckenden Beträge abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

5. Der Streitwert für die Berufung der Klägerin wird auf 12.911 EUR, der Streitwert für die Berufung des Beklagten auf 16.531 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Zahlung von Elternunterhalt für seine am 30.9.1935 geborene Mutter aus übergegangenem Recht ab November 2005 in Anspruch. Die Klägerin ist Trägerin der öffentlichen Hilfe, welche der Mutter des Beklagten seit November 2005 gewährt wird.

Die Mutter des Beklagten befindet sich seit April 2005 in einem Pflegeheim. Sie erhält Pflegeleistungen nach der Pflegestufe III. Neben einem Pflegegeld i.H.v. 1.432 EUR monatlich bzw. 1.470 EUR seit Juli 2008 bezieht sie eine Witwenrente. Diese betrug ausweislich der von der Klägerin vorgelegten Rentenbescheide der Knappschaft 743,20 EUR monatlich bis Juni 2007, 742,29 EUR monatlich von Juli 2007 bis Juni 2008 und 748,42 EUR monatlich von Juli bis Dezember 2008. Seit Januar 2009 beträgt die Witwenrente monatlich 740,59 EUR. Außerdem bezieht sie Wohngeld. Das Wohngeld betrug 59 EUR monatlich bis einschließlich März 2008 und 56 EUR monatlich von April bis Dezember 2008. Ab Januar 2009 erhält sie Wohngeld i.H.v. 110 EUR monatlich. Hinsichtlich der entstandenen Heimkosten wird auf die Kostenaufstellung der Klägerin für die Jahre 2005 bis 2009 (Bl. 353, 368, 429 ff. d.A.) verwiesen.

Die Mutter des Beklagten leidet an einer Psychose mit schizophrener Symptomatik mit der Folge einer affektiven Veränderung ihrer Persönlichkeit in Form von Kontaktarmut, Antriebsschwäche, Wahnideen, Gedankenbeeinflussung u. verschrobenem Verhalten.

Sie hat den am 23.12.1961 geborenen Beklagten und seine (1975 verstorbene) Zwillingsschwester bis zur Trennung u. Scheidung von ihrem ersten Ehemann im Jahr 1973 - mit Unterbrechungen durch zum Teil längere stationäre Krankenhausaufenthalte - erzogen und versorgt. Seit spätestens 1977 besteht - bis auf gelegentliche Zusammentreffen auf Familienfeier - kein Kontakt mehr zwischen dem Beklagten und seiner Mutter. Der zweite Ehemann der Mutter ist im Jahr 2004 verstorben.

Der Beklagte arbeitet bei der H2 GmbH. Die Entfernung zwischen seinem Wohnort und seiner Arbeitsstätte beträgt 18 Kilometer. Er ist ledig und hat keine Kinder. Seine Steuererstattungen betrugen ausweislich der zu den Akten gereichten Steuerbescheide in den Jahren 2004 (für 2003) 1.931,61 EUR, 2005 (für 2004) 1.859,45 EUR, 2006 (für 2005) 2.006,03 EUR, 2007 (für 2006) 1.526,27 EUR und 2008 (für 2007) 1.189,64 EUR. Neben seiner betrieblichen Altersvorsorge bedient er zwei Lebensversicherungen bei der I mit monatlich 20,24 EUR und 19,95 EUR.

Im Sommer 2008 (während des laufenden Verfahrens) hat er zusammen mit seiner Lebenspartnerin einen Vertrag zur Errichtung einer Doppelhaushälfte mit einer Wohnfläche von rund 120 qm zu einem Pauschalfestpreis i.H.v. 220.500 EUR abgeschlossen. Eigentümer der Doppelhaushälfte sind der Beklagte und seine Lebenspartnerin zu je ½. Das Objekt wi...

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