Leitsatz (amtlich)

Will der Tatrichter von einem Regelfahrverbot absehen, muss er für seine Entscheidung eine mit Tatsachen begründete Entscheidung geben.

 

Verfahrensgang

AG Bottrop (Entscheidung vom 18.02.2004)

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch nebst den diesem zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Herford zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Der Betroffene ist durch Urteil des Amtsgerichts Bottrop vom 18.02.2004 wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 62 km/h außerhalb der geschlossenen Ortschaft - fahrlässige Verkehrsordnungswidrigkeit gemäß § 24 StVG in Verbindung mit den §§ 3, 41, 49 StVO - zu einer Geldbuße in Höhe von 800,00 EUR verurteilt worden.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts ist der straßenverkehrsrechtlich bisher nicht vorbelastete Betroffene als Arzt für Anästhesie im Universitätsklinikum der Gesamthochschule Essen tätig. Er überschritt am 01.06.2003 mit dem von ihm geführten PKW Audi auf der BAB A 42 von Duisburg in Fahrtrichtung Dortmund die dort im Bereich der Anschlussstelle Bottrop-Süd/Essen-Borbeck die durch Verkehrszeichen 274 auf 100 km/h beschränkte zulässige Höchstgeschwindigkeit um 62 km/h. Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte mit einem Verkehrsradargerät des Typs Multanova 6 F.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen einer fahrlässigen Verkehrsordnungswidrigkeit gemäß den §§ 24 StVG, 41 Abs. 2 Nr. 7, 49 Abs. 3 Ziffer 4 StVO für schuldig befunden und den Rechtsfolgenausspruch wie folgt begründet:

"Der Bußgeldkatalog sieht bei einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 62 km/h außerhalb der geschlossenen Ortschaft eine Geldbuße in Höhe von 275,00 EUR ein Fahrverbot von zwei Monaten vor.

Die Verhängung eines Fahrverbots von zwei Monaten wäre eine Härte ganz außergewöhnlicher Art für den Betroffenen. Der Betroffene gehört als Anästhesist dem Transplantationszentrum des Universitätsklinikums der Gesamthochschule Essen an. Er hat insoweit in der Zeit, in der er nicht ohnehin in der Klinik ist, eine Rufbereitschaft rund um die Uhr und muß für den Fall, daß ein Spenderorgan zur Verfügung steht, adhoc ins Krankenhaus. Außerdem gehört der Betroffene der Flugrettung der Bundeswehr an, die in Katastrophenfällen Rückflüge von Schwerstverletzten in die Bundesrepublik Deutschland organisiert. Die Flugrettung ist am Flughafen Köln-Wahn stationiert. Im Falle eines Einsatzes muß sich der Betroffene umgehend in Köln-Wahn einfinden. Unter anderem war der Betroffene bei dem schweren Erdbeben im Iran sowie bei dem Selbstmordanschlag auf deutsche Touristen in Djerba im Einsatz. Ohne eine Fahrerlaubnis kann der Betroffene diese beruflichen Aufgaben nicht mehr wahrnehmen. Der Betroffene hat auch nur Anspruch auf zwei Wochen zusammenhängenden Urlaub. Vor diesem Hintergrund erscheint die Verhängung eines Fahrverbotes nicht als unerläßlich, um auf den Betroffenen dahingehend einzuwirken, zukünftig keine Verkehrsverstöße mehr zu begehen. Der Betroffene ist jetzt seit fast 23 Jahren im Besitz der Fahrerlaubnis; im Verkehrszentralregister sind keine Voreintragungen verzeichnet. Im Hinblick auf die vorgenannten Umstände ist daher von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen worden bei drastischer Heraufsetzung der Geldbuße. Dem Gericht ist bewußt, daß es sich bei dieser Entscheidung um einen Grenzfall handelt, vertretbar jedoch in Ansehung möglicher Transplantations-Patienten und Katastrophen-Opfer."

Gegen dieses Urteil richtet sich die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Essen. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts und wendet sich insbesondere gegen das Absehen von der Verhängung des Regelfahrverbotes.

Die Generalstaatsanwaltschaft ist dem Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft Essen beigetreten.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg. Sie führt zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils im Rechtsfolgenausspruch nebst den diesem zugrunde liegenden Feststellungen. Die Entscheidung des Amtsgerichts über das Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht Stand.

Zwar unterliegt die Entscheidung, ob trotz Vorliegens eines Regelfalls der konkrete Sachverhalt Ausnahmecharakter hat und demgemäß von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden kann, in erster Linie der Beurteilung durch den Tatrichter (vgl. BGH NZV 1992, 286, 288). Dem Tatrichter ist jedoch insoweit kein rechtlich ungebundenes freies Ermessen eingeräumt, das nur auf Vorliegen von Ermessensfehlern hin vom Rechtsbeschwerdegericht überprüfbar ist, sondern der dem Tatrichter verbleibende Entscheidungsspielraum ist durch gesetzlich niedergelegte und von der Rechtsprechung herausgearbeitete Zumessungskriterien eingeengt und unterliegt insoweit hinsichtlich der Angemessenheit der verhängten Rechtsfolge in gewissen ...

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