Leitsatz (amtlich)

1. Ein Anscheinsbeweis zu Lasten des Linksabbiegers kommt - wie hier - grundsätzlich auch bei einem Unfall in einer mit Lichtzeichenanlage geregelten Kreuzung zur Anwendung (im Anschluss an BGH Urt. v. 13.02.2017 - VI ZR 58/06, r+s 2007, 211), wenn "feindliches Grün" nicht feststellbar ist.

2. Um einen Verstoß des Geradeausfahrers gegen § 11 Abs. 3 StVO anzunehmen, muss der Linksabbieger einen echten Nachzüglervorrang beweisen.

3. Die Betriebsgefahr des geradeaus fahrenden Fahrzeugs tritt regelmäßig - so auch hier - hinter den Verursachungs- und Verschuldensbeiträgen des Linksabbiegers und hinter der Betriebsgefahr seines Fahrzeugs zurück (im Anschluss an BGH Urt. v. 11.1.2005 - VI ZR 352/03, r+s 2005, 213).

 

Normenkette

StVO § 9 Abs. 3 S. 1, § 11 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LG Essen (Aktenzeichen 5 O 6/21)

 

Tenor

Der Senat weist darauf hin, dass beabsichtigt ist, die Berufung der Klägerin gegen das am 21.06.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Essen nach § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.

Es ist ferner beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 5.555,12 EUR festzusetzen.

Es besteht für die Klägerin Gelegenheit, innerhalb von drei Wochen ab Zustellung Stellung zu nehmen.

 

Gründe

I. Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung der Klägerin offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Das Urteil des Landgerichts beruht weder auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO), noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere für sie günstigere Entscheidung, § 513 Abs. 1 ZPO. Das Landgericht ist zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin allein für die Folgen des Verkehrsunfalls einzustehen hat und die Klage daher abzuweisen ist.

1. Zwar haften die Beklagten dem Grunde nach als Gesamtschuldner gemäß § 7 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 Nr. 1, Satz 4 VVG für die Unfallfolgen. Die gemäß § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG vorzunehmende Abwägung der Verursachungsbeiträge führt jedoch zu einer Alleinhaftung der Klägerin.

2. Da die Schadensverursachung durch mehrere Kraftfahrzeuge erfolgt ist und die Klägerin als Halterin ebenfalls grundsätzlich gemäß § 7 Abs. 1 StVG für die Unfallfolgen einzustehen hat, findet § 17 StVG Anwendung.

Nach § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG hängt im Verhältnis der Fahrzeughalter zueinander die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, wie weit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Die Abwägung ist aufgrund aller festgestellten, das heißt unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, die sich auf den Unfall ausgewirkt haben. In erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben. Ein Faktor bei der Abwägung ist dabei das beiderseitige Verschulden (vgl. BGH Urt. v. 15.5.2018 - VI ZR 231/17, Rn. 10, beck-online). Die Umstände, die die konkrete Betriebsgefahr des anderen Fahrzeugs erhöhen, insbesondere also dem anderen zum Verschulden gereichen, hat im Rahmen der nach § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung jeweils der gegnerische Halter zu beweisen (Scholten in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., § 17 StVG (Stand: 28.03.2018), Rn. 58).

a. Für einen schuldhaften Verstoß der Klägerin gegen § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO spricht ein Anscheinsbeweis.

aa. Nach § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO muss, wer links abbiegen will, entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren lassen. Der Linksabbieger hat, wenn er seiner hiernach bestehenden Wartepflicht nicht genügt und es deshalb zu einem Unfall kommt, in der Regel, wenn keine Besonderheiten vorliegen, in vollem Umfang oder doch zumindest zum größten Teil für die Unfallfolgen zu haften, weil an eine Verletzung des Vorfahrtrechts des geradeaus Fahrenden durch den Linksabbieger ein schwerer Schuldvorwurf anknüpft, wobei für das Verschulden des Abbiegenden der Anscheinsbeweis spricht (vgl. BGH Urt. v. 13.2.2007 - VI ZR 58/06, Rn. 8, beck-online). Dies gilt im Grundsatz auch, wenn sich der Unfall - wie vorliegend - auf einer mit Lichtzeichen geregelten Kreuzung ereignet hat, wobei der Kreuzungsbereich mit Ampeln sowohl für den geradeaus fahrenden als auch für den abbiegenden Verkehr versehen ist. Bei solchen Fallgestaltungen kann ein Anscheinsbeweis nur dann ausscheiden, wenn die Unfallgegner darüber streiten, wer von ihnen bei grün in die Kreuzung eingefahren ist und wer das für ihn geltende Rotlicht missachtet hat (vgl. BGH Urt. v. 13.2.2007 - VI ZR 58/06, Rn. 8, beck-online).

bb. Dies zugrunde gelegt gelangt der Anscheinsbeweis hier zur Anwendung, da der Beklagte zu 1) unstreitig bei grün in die Kreuzung eingefahren ist und die Klägerin sich ebenso unstreitig zu diesem Zeitpunkt in der Kreuzung befunden hat, um nach links über die Fahrspur des Beklagten zu 1) in (..) Astraße einzubiegen. In einer solchen Situation war die Klägerin gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO wartepfl...

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