Gründe

I.

Das Amtsgericht Tecklenburg verurteilte den Betroffenen am 22. Februar 1995 wegen einer "fahrlässig begangenen Ordnungswidrigkeit nach §§ 24 StVG, 1 II, 4 I, 49 StVO" zu einer Geldbuße von DM 250. Es hat dazu festgestellt, daß der Betroffene am 8. August 1994 gegen 17.07 Uhr in ... die Bundesautobahn A 1 in Fahrtrichtung ... mit dem Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen ... befuhr. In Höhe des Kilometersteins 238,65 benutzte er den linken Fahrstreifen bei einer Geschwindigkeit von 136 km/h und hielt zum vorausfahrenden Fahrzeug einen Abstand von 18,51 Metern ein. Das sind - bei einem halben Tachowert von 68 - weniger als 3/10 des halben Tachowertes. Diesen geringen Abstand hielt der Betroffene über eine Strecke von deutlich mehr als 300 Metern ohne wesentliche Veränderung ein, wobei er bei sorgfältiger Beachtung der eigenen Geschwindigkeit und des eingehaltenen Abstands hätte erkennen können, daß dieser Abstand zu gering war.

Die Abstandsmessung erfolgte mittels einer Videomeßanlage von einer Brücke aus. Daran beteiligt war vor Ort der Polizeibeamte ..., den das Amtsgericht in der Hauptverhandlung vom 22. Februar 1995 als Zeuge vernommen hat. Im Rahmen der Zeugenvernehmung sind die vom Meßvorgang hergestellten Lichtbilder und der zugehörige Videofilm in Augenschein genommen worden.

Mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Rechtsbeschwerde vertritt der Betroffene die Rechtsansicht, daß das Amtsgericht weder die Aussage des Zeugen noch den Videofilm zu seinem Nachteil hätte verwerten dürfen. Er trägt dazu vor, daß er erlaubterweise in der Hauptverhandlung abwesend gewesen sei; er sei auch nicht durch einen Verteidiger vertreten worden. In ihren Ladungsurkunden seien Beweismittel nicht aufgeführt, die zur Hauptverhandlung hätten hinzugezogen werden sollen. Es sei ihnen auch sonst nicht mitgeteilt worden, daß zur Hauptverhandlung der Zeuge geladen und der Videofilm als Beweismittel hinzugezogen werde. Nach Auffassung des Betroffenen reicht es nicht aus, daß die Beweismittel in dem ihm zugestellten Bußgeldbescheid genannt sind.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Rechtsbeschwerde gem. § 349 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG zu verwerfen.

II.

Die gem. § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat - jedenfalls vorläufig - Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz zur erneuten Entscheidung.

Mit der zulässig erhobenen Verfahrensrüge beanstandet der Betroffene zu Recht, daß das Amtsgericht seine ihm nachteilige Entscheidung auf die Aussage des Zeugen in der Hauptverhandlung vom 22. Februar 1995 gestützt hat, obwohl die Hauptverhandlung in seiner - des Betroffenen - Abwesenheit stattgefunden hat und weder ihm noch seinem Verteidiger ausweislich der dem Senat vorliegenden Originalladungsurkunden bekannt gewesen ist, daß der Zeuge zur Hauptverhandlung geladen worden war. Mit seiner Vorgehensweise hat das Amtsgericht gegen die zum Schutz des rechtlichen Gehörs auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren geltende Vorschrift des § 222 Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. §§ 71 Abs. 1 OWiG, 411 Abs. 1 Satz 2 StPO verstoßen, wonach das Gericht zur Vorbereitung der Hauptverhandlung im Strafverfahren dem Angeklagten u.a. die geladenen Zeugen rechtzeitig namhaft zu machen hat. Dabei geht es nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht nur um die "außer den in der Anklageschrift benannten oder auf Antrag des angeklagten Geladenen w e i t e r e n Zeugen" (so - entsprechend dem Rechtszustand vor Inkrafttreten des 1. STVRG vom 9. Dezember 1974 - OLG Hamm MDR 1971, 1029), sondern um s ä m t l i c h e zur Hauptverhandlung geladenen Zeugen, auch wenn sie bereits in der Anklageschrift aufgeführt sind (BGH StV 1982, 457; Kleinknecht/ Meyer-Goßner, 42. Aufl. (1995) § 222 StPO Rn. 4; KK-Treier, 3. Aufl. (1993) § 222 StPO Rn. 2). Kann der Angeklagte bei Verletzung der Mitteilungspflicht durch das Gericht von seinem Recht, die Aussetzung der Hauptverhandlung gem. 246 Abs. 2 StPO zu verlangen, nicht Gebrauch machen, weil er - befugt - der Hauptverhandlung ferngeblieben und auch sonst nicht vertreten worden ist, ist das gerichtliche Verfahren jedenfalls dann rechtsfehlerhaft, wenn die Verurteilung auf dem gleichwohl benutzten Beweismittel beruht (vgl. OLG Koblenz VRS 46, 447, 448).

Gleiches muß für das Bußgeldverfahren gelten, in dem nach § 46 Abs. 1 OWiG die Vorschriften der Strafprozeßordnung sinngemäß anzuwenden sind und über § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 411 Abs. 1 Satz 2 StPO auf die Vorschriften der Strafprozeßordnung über das gerichtliche Verfahren Bezug genommen ist.

Grundlage der Hauptverhandlung ist der Bußgeldbescheid, gegen den sich der zulässige Einspruch des Betroffenen richtet (Göhler, 11. Aufl. (1995) § 71 OWiG Rn. 3). Entsprechend § 222 Abs. 1 StPO sind dem Betroffenen die zur Hauptverhandlung geladenen Zeugen bekanntzugeben, und zwar auch dann, wenn sie bereits im Bußgeldbescheid angeführt waren. Der Senat teilt insoweit die Rechtsans...

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