Entscheidungsstichwort (Thema)

Vollzug. Untersuchungshaft. Verhältnismäßigkeit. Corona-Pandemie

 

Normenkette

StPO § 112 Abs. 1, 2 Nr. 2, § 116

 

Verfahrensgang

AG Bielefeld (Entscheidung vom 25.01.2019)

LG Bielefeld (Entscheidung vom 06.04.2020; Aktenzeichen 01 KLs 16/19)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Angeklagten vom 7. April 2020 gegen den Haftfortdauerbeschluss der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 6. April 2020 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 7. Mai 2020 nach Anhörung und auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft sowie nach Anhörung des Angeklagten bzw. seines Verteidigers beschlossen:

Die Beschwerde wird als unbegründet verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

 

Gründe

I.

Der Angeklagte wurde aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Bielefeld vom 25. Januar 2019 am 16. März 2019 festgenommen. Seitdem befindet er sich in Untersuchungshaft. Mit Beschluss vom 2. September 2019 ersetzte das Landgericht Bielefeld den Haftbefehl vom 25. Januar 2019 durch einen neuen Haftbefehl. Am 12. September, 18. September und 7. Oktober 2019 fand die Hauptverhandlung statt. Der Angeklagte wurde wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 20 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit einem Versuch des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Zudem wurden die Einziehung von sichergestelltem Bargeld in Höhe von knapp 80.000 € sowie Wertersatz in Höhe von knapp 480.000 € angeordnet. Gegen das Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt, über die noch nicht entschieden ist. Eine Haftbeschwerde des Angeklagten vom 25. Oktober 2019 hat der Senat mit Beschluss vom 26. November 2019 als unbegründet verworfen.

Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 18. März 2020 hat der Angeklagte Haftprüfung beantragt. Zur Begründung hat er - in diesem Schriftsatz und im weiteren Verlauf des Verfahrens - im Wesentlichen ausgeführt: Ihm sei im Alter von 16 Jahren eine neue Herzklappe eingesetzt worden. Aufgrund dieser Operation müsse er bis heute Marcumar einnehmen. Er leide von Zeit zu Zeit unter Kurzatmigkeit. Eine Vorschädigung der Lunge oder anderer Organe sei nicht auszuschließen. Sein Immunsystem sei geschwächt. Er sei deshalb besonders gefährdet, sich mit dem SARS-CoV-2-Virus anzustecken bzw. infolge einer Ansteckung mit dem Virus und Erkrankung an COVID-19 besonders schwerwiegende gesundheitliche Folgen zu erleiden. In der Untersuchungshaft sei er vor diesem Risiko nicht ausreichend geschützt. Die JVA Hagen, eine Anstalt mit rund 350 Gefangenen und 150 Bediensteten, in der er zurzeit inhaftiert ist, sei von der Corona-Pandemie "nicht verschont geblieben". Beim Freigang würden die Mindestabstände von 1,5 bis 2 Meter nicht überwacht und nie eingehalten. In der Anstalt gebe es keine regelmäßige Reinigung oder Desinfektion der Freiflächen. Bei Neuaufnahmen werde kein Infektionstest durchgeführt. Insgesamt biete die Anstalt keinen Schutz vor Ansteckungen und setze ihn vielfachen Ansteckungsgefahren aus.

Mit Beschluss vom 6. April 2020 hat die 1. Strafkammer des Landgerichts Bielefeld den Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls abgelehnt. Gegen diesen Beschluss hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 7. April 2020 Beschwerde eingelegt. Das Landgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 9. April 2020 nicht abgeholfen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die Beschwerde ist gem. § 304 Abs. 1 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. In der Sache bleibt sie jedoch ohne Erfolg. Die Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft gem. § 112 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StPO liegen vor.

1.

Gegen den Angeklagten besteht weiterhin dringender Tatverdacht (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO). Wird der Angeklagte erstinstanzlich verurteilt, so setzt die gleichzeitige Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft (§ 268b StPO) keine gesonderte Prüfung und Begründung des dringenden Tatverdachts voraus; dieser wird - in aller Regel - bereits durch das verurteilende Erkenntnis hinreichend belegt (BGH, Beschluss vom 8. Januar 2004 - StB 20/03 -; OLG Koblenz, Beschluss vom 2. Januar 2014 - 2 Ws 742/13 -; OLG Hamburg, Beschluss vom 21.03.2013 - 2 Ws 45/13 -; alle zit. nach juris). Gesichtspunkte, die ausnahmsweise Zweifel am dringenden Tatverdacht wecken könnten, bestehen im vorliegenden Fall nicht und sind auch mit der Beschwerde nicht vorgebracht.

2.

Die Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) dauert ebenfalls an. Insoweit wird auf die nach wie vor zutreffenden Gründe des Haftbefehls vom 2. September 2019 und des Nichtabhilfebeschlusses vom 30. Oktober 2019 Bezug genommen. Maßgeblich sind danach der erhebliche Fluchtanreiz, der durch die im Raum stehende, hohe Freiheitsstrafe einerseits und die vom Angeklagten aufgrund seiner umfangreichen Einlassung zu befürchtenden Gefährdungen durch Verwandte seiner Komplizen andererseits begründet wird, ...

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