Leitsatz (amtlich)

Die Verschiebung einer Hauptverhandlung zum Schutz der gesundheitlichen Belange der Verfahrensbeteiligten vor den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie stellt unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, gegebenenfalls um den in § 10 EGStPO vorgesehenen Zeitraum, keinen Verstoß gegen das in Haftsachen geltende Beschleunigungsgebot dar.

 

Verfahrensgang

LG Dessau-Roßlau (Entscheidung vom 11.03.2020)

 

Tenor

1) Die Verfahren 1 Ws (s) 89/20 und 1 Ws (HE) 4/20 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden, das Verfahren 1 Ws (HE) 4/20 führt.

2) Die Beschwerde des Angeklagten B. gegen den Beschluss des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 11. März 2020 ist gegenstandslos.

3) Die Fortdauer der Untersuchungshaft der Angeklagten M. P. und V. B. gem. §§ 121, 122 StPO wird angeordnet.

4) Die weitere Haftprüfung wird für die Dauer von drei Monaten dem Gericht übertragen, dem sie nach den allgemeinen Vorschriften zusteht.

 

Gründe

I.

Die Angeklagten befinden sich seit dem 26. September 2019 ununterbrochen in Untersuchungshaft aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Dessau-Roßlau vom 25. September 2019 (Az. 11 Gs 277/18 (681 Js 9776/18).

Der Haftbefehl war auf den Vorwurf des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in mindestens zehn Fällen gemeinschaftlich handelnd und bzgl. des Angeklagten P. darüber hinaus in neun weiteren Fällen allein bzw. mit einem weiteren Mittäter handelnd gestützt. Für beide Angeklagte sah das Amtsgericht den Haftgrund der Fluchtgefahr, § 112 Abs. 1 Nr. 2 StPO, als gegeben an. Mit Beschluss vom 25. Oktober 2019 stellte das Amtsgericht Dessau-Roßlau den Haftbefehl gegen den Angeklagten B. auf den Haftgrund der Wiederholungsgefahr nach § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO um.

Die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau hat am 11. Februar 2020 Anklage zu der Jugendkammer des Landgerichts Dessau-Roßlau erhoben und die Fortdauer der Untersuchungshaft beantragt. Die laut Haftbefehl "mindestens" zehn bzw. 19 Fälle umfassenden Tatvorwürfe hat sie dabei auf 35 Fälle gemeinschaftlichen Handelns bzgl. des Angeklagten B. und insgesamt 42 Fälle, darunter die 35 Fälle gemeinschaftlichen Handelns mit dem Angeklagten B., bzgl. des Angeklagten P. präzisiert.

Der Vorsitzende der zunächst zuständigen 1. großen Jugendkammer des Landgerichts Dessau-Roßlau hat noch am Tag des Eingangs der Anklage am 13. Februar 2020 deren Zustellung verfügt und die Verteidiger durch gesonderte Verfügung aufgefordert, freie Termine für die Zeit ab dem 1. März 2020 mitzuteilen. Durch Schreiben vom 17., 19. und 24. Februar 2020 teilten die Verteidiger freie Termine beginnend ab 17. März (Rechtsanwalt Sch. als Verteidiger des Angeklagten P.) bzw. ab 18. März (Rechtsanwalt Bz. als Verteidiger des Angeklagten B.) und 26. März (Rechtsanwältin K. als Verteidiger des Angeklagten B.) mit.

Am 3. März 2020 bildete das Präsidium des Landgerichts Dessau-Roßlau die 1a. große Hilfsstrafkammer, in deren Zuständigkeit das Verfahren wechselte. Mit Schreiben vom selben Tag hat der Vorsitzende der Hilfsstrafkammer den Angeklagten P. darauf hingewiesen, dass sein Verteidiger Rechtsanwalt Sch. nach seiner Auffassung nicht über genügend freie Termine verfüge, um das Verfahren als Haftsache mit der gebotenen Beschleunigung durchführen zu können und ihm Gelegenheit gegeben, einen neuen Rechtsanwalt zur Bestellung als Pflichtverteidiger zu benennen.

Mit Beschluss vom 5. März 2020 ordnete die Hilfsstrafkammer nach Durchführung eines mündlichen Haftprüfungstermins die Fortdauer der Untersuchungshaft des Angeklagten P. an. Den Haftbefehl fasste sie dabei unter Anpassung an die Tatvorwürfe aus der Anklageschrift neu.

Mit Beschluss vom 10. März 2020 hob der Vorsitzende der Hilfsstrafkammer die Bestellung des Rechtsanwalts Sch. als Pflichtverteidiger auf und bestellte Rechtsanwalt F. aus W. zum neuen Pflichtverteidiger des Angeklagten P.. Rechtsanwalt F. hatte zuvor eine Verfügbarkeit ab dem 24. März 2020 mitgeteilt.

Mit Beschluss vom 10. März 2020 eröffnete die 1a. große Hilfsstrafkammer das Hauptverfahren und ließ die Anklage zur Hauptverhandlung zu, zugleich hielt es die Haftbefehle aufrecht und in Vollzug. Mit Verfügung vom gleichen Tag bestimmte der Vorsitzende Termine zur Hauptverhandlung beginnend ab dem 24. März 2020.

Mit weiterem Beschluss vom 11. März 2020 ordnete die Kammer nach Durchführung eines mündlichen Haftprüfungstermins den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft des Angeklagten B. an, wobei sie den Haftbefehl wie schon bei dem Angeklagten P. entsprechend den Vorwürfen aus der Anklageschrift neu fasste.

Gegen diesen Beschluss wendete sich der Angeklagte B. mit seiner Beschwerde vom 16. März 2020, der das Landgericht nicht abgeholfen hat.

Mit Verfügung vom 23. März 2020 hob der Vorsitzende die Hauptverhandlungstermine auf Antrag des Verteidigers Rechtsanwalt F. wegen der derzeitigen Gefährdungslage durch das Virus SARS-CoV-2 auf, weil eine Gefährdung der Gesundheit der Prozessbeteiligten nicht ausgeschlossen werden könne. Zugleich ...

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