Leitsatz (amtlich)

Zum erforderlichen Umfang der tatsächlichen Feststellungen bei einem qualifizierten Rotlichtverstoß.

 

Verfahrensgang

AG Recklinghausen (Entscheidung vom 20.04.2007)

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Recklinghausen zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen durch Urteil vom 20. April 2007 wegen einer fahrlässig begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit - Verstoß gegen § 37 Abs. 2 StVO - zu einer Geldbuße von 125,00 EUR verurteilt und - unter Anwendung von § 25 Abs. 2 a StVG - ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt wird. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben.

II.

Das Amtsgericht hat folgende tatsächliche Feststellungen getroffen:

"Am 20.08.06 gegen 2.25 Uhr befuhr der Betroffene in Recklinghausen die Rechtsabbiegerspur des Königswalles in Fahrtrichtung Herner Str. mit dem Pkw XXXXX. Die Lichtzeichenanlage, die sich auf dem Königswall befindet, zeigte bereits seit länger als 1 Sekunde für die Fahrtrichtung geradeaus Rotlicht an. Der Betroffene bog nicht in die Herner Str. nach rechts ein, sondern fuhr, obwohl die Ampel für Geradeausfahrer Rot anzeigte, geradeaus in Richtung Gaststätte Pflaumenbaum."

III.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie hat auch in der Sache - zumindest vorläufig - Erfolg.

Dahinstehen kann, ob die vom Betroffenen erhobene formelle Rüge ausreichend i.S.d. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO begründet ist oder ob der Betroffene den Beweisantrag, dessen Nichtbescheidung er rügt, in der Rechtsbeschwerdebegründung hätte zitieren müssen. Jedenfalls hat die Rechtsbeschwerde mit der erhobenen allgemeinen Sachrüge Erfolg. Die vom Amtsgericht zu dem dem Betroffenen zur Last gelegten qualifizierten Rotlichtverstoß getroffenen Feststellungen sind nämlich lückenhaft (§ 267 StPO).

Die Generalstaatsanwaltschaft hat ihren Aufhebungsantrag insoweit wie folgt begründet:

"Der von dem Amtsgericht angenommene qualifizierte Rotlichtverstoß erfordert die Feststellung, dass der Fahrzeugführer das Rotlicht nach einer Rotlichtphase von mehr als einer Sekunde missachtet hat, wobei nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung der Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie und, wenn diese nicht vorhanden ist, das Einfahren in den von der Lichtzeichenanlage gesicherten Kreuzungsbereich ausschlaggebend ist (zu vgl. OLG Hamm, Senatsbeschluss vom 23.10.2003, - 2 SsOWi 649/03; Beschluss vom 24.09.2007 - 3 SsOWi 620/07 - m.w.N.). Um dem Rechtsbeschwerdegericht die rechtliche Überprüfung des Verstoßes zu ermöglichen, hat das Tatgericht nähere Feststellungen zu den örtlichen Verhältnissen und zum Ablauf des Rotlichtverstoßes zu treffen. Insbesondere, wenn die Feststellungen zum Zeitablauf nicht auf einer technischen Messung mittels eines geeichten Messgerätes beruhen, sind wegen der damit verbundenen Fehlerquellen klare und erschöpfende Feststellungen zum Zeitablauf sowie zur Entfernung des Fahrzeugs zum Einmündungsbereich, zur Lichtzeichenanlage und zu einer ggf. vorhandenen Haltelinie (zu vgl. OLG Hamm, a.a.O.).

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Es enthält weder Angaben dazu, ob eine Haltelinie vorhanden war noch zu der Frage, in welchem Abstand sich der Betroffene zu einer Haltelinie oder der Lichtzeichenanlage befunden haben soll, als diese Rotlicht zeigte, oder zu der durch den Betroffenen gefahrenen Geschwindigkeit. Des Weiteren wird nicht mitgeteilt, ob es sich um eine gezielte oder eine zufällige Überwachung der Lichtzeichenanlage gehandelt hat. Die Feststellungen zu der Dauer der Rotlichtphase beruhen ausschließlich auf den Schätzungen der Zeugen S. und M.. Zwar vermögen grundsätzlich auch Schätzungen von Zeugen den Nachweis eines qualifizierten Rotlichtverstoßes zu erbringen; dies gilt jedoch im Falle einer zufälligen Überwachung der Lichtzeichenanlage nur, wenn die Schätzung durch das Hinzutreten weiterer Umstände erhärtet wird (zu vgl. OLG Hamm, a.a.O.). Diesbezüglich hat das Amtsgericht indes keine Feststellungen getroffen.

Das angefochtene Urteil unterliegt daher der Aufhebung. Auf die erhobene Aufklärungsrüge kommt es somit nicht an.

Der Senat kann auch bereits jetzt über die Rechtsbeschwerde entscheiden. Zwar ist die Protokollergänzung nicht durch den Protokollführer genehmigt und das Urteil nicht nochmals zugestellt worden; da das Urteil unabhängig davon jedoch der Aufhebung unterliegt, erscheint es entbehrlich, auf eine Genehmigung und eine erneute Zustellung des Urteils an den Betroffenen hinzuwirken (vgl. hierzu auch OLG Hamm, Beschluss vom 15.01.2001 - 3 Ss 1223/00 -)."

Diesen Ausführungen tritt der Senat nach eigener Sachprüfung bei. Das angefochtene Urteil war damit aufzuheben. Der Senat hat davon abgesehen, von der Mö...

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