Verfahrensgang

LG Hamburg (Aktenzeichen 324 O 77/22)

 

Tenor

Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 3. Juni 2022, Az. 324 O 77/22, abgeändert.

Die einstweilige Verfügung vom 8. März 2022, Az. 324 O 77/22, wird aufgehoben. Der auf ihren Erlass gerichtete Antrag wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Die Antragsgegnerin wendet sich mit ihrer Berufung gegen ein Urteil des Landgerichts, mit dem dieses eine einstweilige Verfügung bestätigt hat, durch die der Antragsgegnerin untersagt worden ist,

die nachfolgenden Bildnisse der Antragstellerin, ohne deren Einwilligung öffentlich zur Schau zu stellen/zur Schau stellen zu lassen und/oder zu verbreiten/ verbreiten zu lassen:

((Abbildungen))

wenn dies geschieht wie in dem Beitrag vom ... mit dem Titel ..., geschehen unter der URL ... und aus der Anlage zu dem Beschluss des Landgerichts ersichtlich.

Die Antragstellerin hat an mehreren Reality-TV-Shows teilgenommen. Sie wirkte mit an den Reality-Shows ... (beginnend am ...), in der sie öffentlich ihre Erfahrungen beim Vollzug ungeschützten Sexualverkehrs diskutierte, ..., in deren Rahmen es zur Ausübung des Geschlechtsverkehrs mit einem anderen Teilnehmer der Sendung kam, und ... (beide ...), die jeweils von dem Fernsehsender ... ausgestrahlt wurden. Die Antragstellerin sollte auch in der aktuellen Ausgabe der von dem Fernsehsender ... produzierten und ausgestrahlten Sendung ... auftreten; dieser Auftritt kam indessen nicht zustande. Der Instagram-Account der Antragstellerin hat mehr als 100.000 "Follower". In der Vergangenheit arbeitete die Antragstellerin auch als Escortdame, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob sie dies außer durch Äußerungen in ihrem Bekanntenkreis einem größeren Empfängerkreis bekannt gemacht hat.

Im Verlag der Antragsgegnerin erscheint die Tageszeitung ..., und sie verantwortet auch den zugehörigen Internetauftritt. Auf diesem verbreitete sie am ... den folgenden Beitrag (Anlage Ast 1):

((Abbildungen))

Die angegriffenen Bilder stammen von den Internetseiten ... und ..., wo sie mittlerweile gelöscht sind. Auf einer türkischsprachigen Internetseite sind sie indessen weiterhin abrufbar. Vor dem Zeitpunkt der Berichterstattung waren die Bildnisse mit Einwilligung der Antragstellerin unter der Verfremdung ihres Gesichts durch einen Augenbalken und unter einem Pseudonym ab ... jedenfalls bis ... auf der Agenturseite von ... unter ... veröffentlicht worden.

Die Antragstellerin ließ die Antragsgegnerin mit anwaltlichem Schreiben vom 9. Februar 2022 abmahnen. Darauf hat die Antragsgegnerin hinsichtlich der Behauptung, die Antragstellerin habe vor ihrer Fernsehkarriere stolz erzählt, dass sie im Escort-Bereich tätig sei, eine Unterlassungsverpflichtungserklärung abgegeben; hinsichtlich der hier streitigen Bildnisse nicht.

Die Parteien streiten darüber, ob ein die Veröffentlichung der Bildnisse rechtfertigendes zeitgeschichtliches Ereignis vorliege und ob es der Veröffentlichung entgegenstehende überwiegende Interessen der Antragsgegnerin gebe.

Die Antragstellerin hat am 2. März 2022 den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Antragsgegnerin beantragt und diese auf den von der Antragsgegnerin eingelegten Widerspruch bestätigt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin einen Anspruch auf Unterlassung der Verbreitung der Bildnisse aus §§ 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 22, 23 KUG habe, weil sie durch die Verbreitung bei fortbestehender Wiederholungsgefahr in ihrem Recht am eigenen Bild verletzt werde. In die hier angegriffene Veröffentlichung habe sie nicht eingewilligt. Nach § 23 KUG im Sinne des abgestuften Schutzkonzepts sei sie nicht zur Duldung der Veröffentlichung verpflichtet. Es bestehe zwar grundsätzlich ein gesellschaftliches Interesse an der Escort-Tätigkeit der Antragstellerin, da es sich bei ihr um eine nicht unbekannte Reality-TV-Darstellerin handele und auch andere Medien die Escort-Gerüchte um sie zum Anlass von Berichterstattungen genommen hätten. Aber der Beitrag der Berichterstattung zur öffentlichen Meinungsbildung sei als eher gering zu bewerten, da es sich bei der Antragstellerin nicht um eine gesellschaftlich bedeutende Person handele und die Berichterstattung weniger von einer ernsthaften inhaltlichen Erörterung des "Escort-Wesens" und seiner Problematik als von dem Bemühen um eine "Enthüllung" und Skandalisierung durch die Veröffentlichung freizügiger Bildnisse der Antragstellerin geprägt sei. Die Bildnisse der Antragstellerin seien zwar grundsätzlich ihrer Sozialsphäre zuzuordnen, weil sie zur Veröffentlichung auf einer Escort-Plattform bestimmt waren und deswegen von der Öffentlichkeit hätten wahrgenommen werden können. Aber die Erkennbarkeit der Antragstellerin sei dort durch die Verwendung des Augenbalkens und eines Pseudonyms eingeschränkt gewesen, wenn au...

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