Leitsatz (amtlich)

1. Bei einer gemäß § 1631b Abs. 2 BGB zu genehmigenden Fixierung hat grundsätzlich eine "Eins-zu-Eins Betreuung durch pflegerisches oder therapeutisches Personal" zu erfolgen. Eine "stetige Erreichbarkeit des Personals" genügt nicht.

2. Es bedarf einer Festlegung im Beschlusstenor der amtsgerichtlichen Genehmigungsentscheidung, dass die einzelne Anordnung der Fixierung nur durch einen Arzt erfolgen darf.

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Verfahrensbeiständin wird festgestellt, dass die mit Beschluss des Amtsgerichts Hamburg - St. Georg, Az.: 987 F 104/20, vom 5. Juni 2020 genehmigte Fixierung die Betroffene in ihren Rechten verletzt hat.

II. Gerichtskosten werden im Beschwerdeverfahren nicht erhoben. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten findet nicht statt.

 

Gründe

I. Die Verfahrensbeiständin wendet sich gegen einen im Wege der einstweiligen Anordnung erlassenen Beschluss, mit dem eine Fixierung der Betroffenen familiengerichtlich genehmigt wurde.

Die 17-jährige Betroffene befindet sich auf Grundlage eines Unterbringungsbeschlusses gemäß § 1631b Abs. 1 FamFG seit über einem Jahr mit Tagesurlauben, Heimurlauben und dem Versuch eines eigenständigen Wohnens in stationärer Behandlung in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik. Die Betroffene leidet an einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung mit schwerem Krankheitsverlauf.

Unter dem 19. Mai 2020 bat die Klinik im Einverständnis mit den Eltern um die Genehmigung einer rezidivierenden 9-Punkt-Fixierung zur Abwendung einer akuten Eigengefährdung der Betroffenen. Aufgrund einer anhaltenden Nahrungs- und Flüssigkeitsverweigerung müsse sie über eine nasogastrale Sonde ernährt werden. Die Sonde müsse bei Weigerung gegebenenfalls unter 7 bis 9-Punkt-Fixierung gelegt werden. Die letzte Genehmigung zur Fixierung sei am 15. Mai 2020 ausgelaufen.

Das Amtsgericht leitete ein einstweiliges Anordnungsverfahren ein und bestellte der Betroffenen eine Verfahrensbeiständin. In einer telefonischen Anhörung erklärte die behandelnde Ärztin, dass die Betroffene zuletzt zwei Tage auf der Intensivstation verbracht habe, da sie zusammen mit alkoholischen Getränken 40 Schlaftabletten genommen habe. Sie leide an einer Eisenmangelanämie. Ihre Blutwerte seien schlecht. Ihr Puls sei unter 60 gewesen, was ein Zeichen dafür sei, dass sie nicht genug trinke. Auf der Station habe sie sich seit 3 Monaten nicht mehr wiegen lassen. Sie sei wackelig auf den Beinen und zeige ein unsicheres Gangbild. In Gesprächen habe sie angegeben, sie sei erschöpft und könne kräftemäßig nicht mehr. Während der letzten Tagesurlaube habe sie nicht mehr Fahrrad fahren können, was sie sonst sehr gerne gemacht habe. Die Betroffene erklärte gegenüber der anhörenden Richterin, dass sie eine Sondierung akzeptiere. Über den Genehmigungsantrag wurde darauf nicht mehr entschieden.

Unter dem 1. Juni 2020 bat die Klinik im Einverständnis mit den Eltern erneut um die Genehmigung einer rezidivierenden 7-Punkt Fixierung. Die Betroffene befinde sich in einem akuten Erregungszustand und zeige eigen- und fremdaggressive Verhaltensweisen bei akuter Suizidalität. Einen Tag später ergänzte die Stationsärztin die Stellungnahme dahingehend, dass die Betroffene weiterhin die Nahrungs-, Trink- und Phosphataufnahme verweigere. Es liege seit zwei Wochen ein Refeeding-Syndrom vor. Die Betroffene leide weiter unter akuten Erregungszuständen. Sie schlage ihren Kopf gegen die Wand, versuche sich zu strangulieren und trete nach Mitarbeitern. Die rezidivierende Fixierung sei notwendig, um eine nasogastrale Sonde zu legen. Diese habe sich die Betroffene in den letzten Tagen mehrmals selbständig gezogen.

In der gerichtlichen Anhörung am 2. Juni 2020 wurde die Betroffene auf ihrem Stationszimmer angetroffen. Ausweislich des Anhörungsvermerks habe sie äußerst schwach gewirkt und sich langsam und vorsichtig bewegt. Der Gang zum nur wenige Meter entfernten Anhörungsraum habe sie sehr angestrengt. Die Stationsärztin habe mitgeteilt, dass eine somatisch gefährliche Situation vorliege. In dieser Woche dürfe mit der Ernährung und der Phosphatgabe keinesfalls aufgehört werden. Die Betroffene habe Angst vor einer Gewichtszunahme. Die empfohlene Dosis von 1.500 Kalorien sei aber nicht einmal zum Gewichtserhalt ausreichend. Sie habe heute und am Wochenende versucht sich zu strangulieren. Es sei Zufall gewesen, dass sie gefunden worden sei. Die Verfahrensbeiständin äußerte in der Anhörung, dass eine Fixierung derzeit nur für die Zwangsernährung genehmigungsfähig sei. Der Suizidgefahr sei durch eine Sitzwache als milderem Mittel zu begegnen. Die Stationsärztin habe mitgeteilt, dass die Station derzeit derart überlastet sei, dass sie nicht wisse, ob dies geleistet werden könne.

Mit Beschluss vom 3. Juni 2020 genehmigte das Amtsgericht im Wege der einstweiligen Anordnung eine Fixierung zum Zwecke der Durchführung der Zwangsernährung sowie zur Gabe von Nahrungsergänzungspräparaten bis zum 24. Juni 2020. ...

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