Orientierungssatz

Orientierungssätze:

Ein Zeitgesetz (im weiteren Sinne) liegt vor, wenn es Regelungen enthält, denen nach ihrem Zweck und erkennbaren Willen des Gesetzgebers, etwa wegen eines dynamischen, nicht voraussehbaren Prozesses, nur vorübergehende Bedeutung und insoweit vorbehaltene Neubewertung zukommen soll.

§ 33 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 und 2 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 2. April 2020 erweist sich als Zeitgesetz, dessen Änderung durch spätere Verordnungen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus in der Freien und Hansestadt Hamburg für die Ahndung der Zuwiderhandlung des Betroffenen außer Betracht zu bleiben hat, weil diese zeitgesetzlichen Änderungen lediglich auf einer Anpassung an den Verlauf des Infektionsgeschehens beruhen.

 

Verfahrensgang

AG Hamburg (Entscheidung vom 28.09.2020; Aktenzeichen 230 OWi 143/20)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Hamburg, Abteilung 230, vom 28. September 2020 wird auf seine Kosten mit der Maßgabe verworfen, dass der Betroffene wegen vorsätzlicher Missachtung des Mindestabstands zwischen Personen verurteilt ist.

 

Gründe

I.

Das Einwohnerzentralamt hat am 12. Mai 2020 gegen den Betroffenen einen Bußgeldbescheid erlassen, mit welchem ihm ein Verstoß gegen Kontaktbeschränkungen aufgrund der Hamburgischen SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung zur Last gelegt worden ist. Gegen den ihm am 14. Mai 2020 zugestellten Bußgeldbescheid hat der Betroffene mit am 22. Mai 2020 eingegangenem Verteidigerschriftsatz Einspruch eingelegt.

Das Amtsgericht Hamburg hat gegen den anwesenden Betroffenen mit Urteil vom 28. September 2020 wegen "vorsätzlicher Nichtbeachtung des Gebots der Kontaktbeschränkung" eine Geldbuße in Höhe von 150 € festgesetzt und Ratenzahlung bewilligt.

Nach Fertigstellung des Protokolls hat die Vorsitzende am 28. September 2020 die Übersendung der Akten an die Staatsanwaltschaft mit der Anfrage verfügt, ob auf Rechtsmittel verzichtet werde, woraufhin die Staatsanwaltschaft die Akten mit Rechtsmittelverzicht zurückgereicht hat.

Mit Verteidigerschriftsatz vom 5. Oktober 2020, eingegangen bei dem Amtsgericht am selben Tage, hat der Betroffene die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt. Am 19. Oktober 2020 sind die schriftlichen Urteilsgründe zur Akte gelangt. Nach Zustellung des Urteils aufgrund richterlicher Verfügung am 29. Oktober 2020 hat der Betroffene mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 9. November 2020, eingegangen bei der Gemeinsamen Annahmestelle am 10. November 2020, den Zulassungsantrag mit der Verletzung sachlichen Rechts begründet und hierzu ausgeführt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat auf Zulassung der Rechtsbeschwerde und deren Verwerfung angetragen.

Mit Beschluss vom 4. Februar 2021 hat der Senat durch den Einzelrichter die Rechtsbeschwerde zugelassen und die Sache dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

II.

Die zugelassene Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

Die auf die zulässig erhobene Sachrüge veranlasste Nachprüfung des Urteils erbringt keinen tragenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.

1. Dem angefochtenen Urteil fehlt es nicht an Urteilsgründen im Sinne von §§ 46 Abs. 1 OWiG, 267 Abs. 1 und 3 StPO, die eine Überprüfung des angefochtenen Urteils im Rechtsbeschwerdeverfahren ermöglichen.

a) Allerdings ist eine nachträgliche Änderung oder Ergänzung des Urteils auch innerhalb der Urteilsabsetzungsfrist unzulässig, wenn ein schriftliches Urteil bereits aus dem inneren Dienstbereich des Gerichts herausgegeben worden und ein Fall des § 77b OWiG nicht gegeben ist (vgl. Senatsbeschluss vom 11. September 2013, Az.: 2 - 48/13 (RB); 5. Senat für Bußgeldsachen des HansOLG, Beschluss vom 27. Mai 2020, Az.: 9 RB 1/20; BGHSt 58, 243).

Ob eine solche Herausgabe aus dem inneren Dienstbereich des Gerichts vorliegt, richtet sich nach dem erkennbar zum Ausdruck gebrachten Willen des Gerichts, das Urteil allein etwa durch Aufnahme in das Hauptverhandlungsprotokoll zu fertigen. Solange ein Urteil bewusst unvollständig ist, ist es noch nicht Bestandteil der Akten, selbst wenn ein Entwurf dessen einliegen sollte. Der Tatrichter hat sich demgegenüber für die Hinausgabe eines nicht mit Gründen versehenen Urteils entschieden, wenn er richterlich die Übersendung der Akten einschließlich eines ohne Gründe in das Hauptverhandlungsprotokoll aufgenommenen oder dem Hauptverhandlungsprotokoll als Anlage beigefügten Urteils an die Staatsanwaltschaft zur Zustellung gemäß § 41 StPO anordnet und nicht lediglich formlose Übersendung der Akten und des Hauptverhandlungsprotokolls an die Staatsanwaltschaft, etwa zum Zwecke der Erklärung über einen Rechtsmittelverzicht, verfügt (BGH a.a.O.; KG NStZ-RR 2018, 292; KK-OWiG/Senge, 77b Rn. 12; Gassner/Seith/Krumm, § 77b Rn. 3).

b) Nach diesen Maßstäben liegt hier seitens des Tatrichters keine bewusste Herausgabe eines nicht mit Gründen versehenen protokollierten Urteils aus dem inneren Dienstbereich des Gerichts vor. Die richterliche Verfügung vom 28. September 2020 zu Ziffe...

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