Leitsatz (amtlich)

1. Die Angaben eines Zeugen gegenüber dem Urkundsbeamten des Familiengerichts zur Erwirkung einer einstweiligen Schutzanordnung nach § 1 GewSchG unterfallen nicht dem Beweisverwertungsverbot aus § 252 StPO.

2. Zur Annahme eines unbenannten besonders schweren Falls der Nötigung bei "häuslicher Gewalt".

3. Die Ermittlungsbehörden haben eine ermittlungsrichterliche Vernehmung zum Zwecke der Beweissicherung zu beantragen, wenn sich die Beweisführung im Strafverfahren absehbar maßgeblich auf eine derzeit aussagebereite, aber zur Zeugnisverweigerung berechtigte Auskunftsperson stützen wird und die der Sachaufklärungspflicht unterstehende Tat nicht nur unerhebliche Bedeutung aufweist.

 

Normenkette

EMRK Art. 3; Istanbul-Konvention Art. 46 ff., Art. 49 Abs. 2; StGB § 240 Abs. 4 S. 1; StPO §§ 162, 252

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Entscheidung vom 04.12.2017)

 

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird der Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 4. Dezember 2017 abgeändert:

a) das Verfahren wird vor dem Amtsgericht Hamburg-Bergedorf - Strafrichter - eröffnet;

b) die Entscheidung über die Bewilligung einer Entschädigung nach dem StrEG wird aufgehoben;

c) die weitergehende sofortige Beschwerde wird verworfen.

2. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Haftentscheidung des Landgerichts Hamburg vom 4. Dezember 2017 wird verworfen.

 

Gründe

A.

Mit ihren Rechtsmitteln erstrebt die Staatsanwaltschaft eine antragsgemäße Eröffnung des Hauptverfahrens vor der Schwurgerichtskammer, den Erlass eines Haftbefehls gegen den Beschuldigten und die Aufhebung der durch das Landgericht angeordneten Entschädigung für erlittene Strafverfolgungsmaßnahmen.

I.

Sie wirft dem Angeklagten mit ihrer Anklageschrift vom 10. Oktober 2017 (6610 Js 73/17) einen versuchten Totschlag tateinheitlich begangen mit einer vorsätzlichen Körperverletzung und versuchten Nötigung zum Nachteil seiner Ehefrau, der Zeugin L., vor. Hiernach soll der Angeklagte sich am 11. Juli 2017 mit seiner Ehefrau in der gemeinsamen Wohnung in der Lohbrügger Landstraße 66 in Hamburg ab 13 Uhr lautstark wegen eines von ihm vermuteten, vorehelichen Intimverhältnisses seiner Ehefrau mit einem anderen Mann gestritten haben. Zunächst soll der Angeklagte seine Ehefrau aufgefordert haben, ihre Sachen zu packen und auszuziehen, sodann jedoch ihr gegenüber geäußert haben, dass es besser sei, "wenn sie tot" sei. Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung soll der Angeklagte sie gegen den Kopf geschlagen, in den Bauch geboxt, mit Klebeband an den Händen gefesselt und ihren Mund damit zugeklebt und sie aufgefordert haben, einen Abschiedsbrief an ihre Eltern zu schreiben. Sodann soll er mit seiner Ehefrau das Badezimmer betreten und ihr angekündigt haben, dass sie nun sterben werde. Er soll die Badewanne mit Wasser gefüllt, seiner Ehefrau das Kleid ausgezogen, den Fön an die Steckdose angeschlossen und seine Ehefrau aufgefordert haben, sich in die Wanne zu setzen, wobei er hinzugefügt haben soll, dass er den Fön in die Wanne fallen lassen werde. Die Geschädigte ist jedoch aus dem Badezimmer und schließlich aus der Wohnung heraus geflüchtet, wo sie von Nachbarn versorgt wurde.

II.

Die Ehefrau des Angeklagten, eine gebürtige Rumänin, hat im Laufe des Ermittlungsverfahrens wiederholt im Rahmen polizeilicher Vernehmungen Angaben zum Tatgeschehen gemacht; zu keinem Zeitpunkt wurde sie indes ermittlungsrichterlich einvernommen. Einen Tag nach der Tat hat sie beim Amtsgericht Hamburg-Bergedorf - Familiengericht - eine einstweilige Anordnung gegen den Angeklagten nach dem Gewaltschutzgesetz erwirkt und mit ihrem Antrag auch Schilderungen zum Tathergang vorgetragen. Später hat sie der Staatsanwaltschaft mitgeteilt, dass sie sich fortan auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen werde.

III.

Der Angeklagte wurde bereits kurz nach der Tat am 11. Juli 2017 in seiner Wohnung festgenommen. Das Amtsgericht Hamburg hat gegen ihn am 12. Juli 2017 Haftbefehl wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung erlassen. Bis zu der in der Beschlussformel erwähnten Entscheidung des Landgerichts hat sich der Angeklagte in Polizei- und Untersuchungshaft befunden.

IV.

Die Schwurgerichtskammer hat das Hauptverfahren vor dem "Amtsgericht Hamburg-Bergedorf" eröffnet, soweit dem Angeklagten eine versuchte Nötigung vorgeworfen werde. Im Übrigen hat das Landgericht "die Eröffnung des Hauptverfahrens aus tatsächlichen Gründen abgelehnt" (gemeint: innerhalb der angeklagten, einheitlichen prozessualen Tat einen hinreichenden Tatverdacht hinsichtlich weiterer Tatdelikte verneint), den Haftbefehl des Amtsgerichts Hamburg vom 11. Juli 2017 aufgehoben und dem Angeklagten für den durch den Vollzug der Untersuchungshaft entstandenen Schaden eine Entschädigung zugesprochen.

B.

Die sofortige Beschwerde gegen die vom Antrag der Staatsanwaltschaft abweichende Eröffnung vor dem Amtsgericht Hamburg-Bergedorf ist statthaft (§ 210 Abs. 2 StPO) sowie im Übrigen zulässig (§ 311 Abs. 2 StPO, § 30...

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