Orientierungssatz

Orientierungssatz:

Eine zunächst unterbliebene Eröffnung des Hauptverfahrens kann auch noch während laufender Hauptverhandlung nachgeholt werden; die nachgeholte Eröffnungsentscheidung muss allerdings in der für Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung vorgesehenen Besetzung und mithin ohne etwaig der Gerichtsbesetzung in der Hauptverhandlung angehörende Schöffen erfolgen.

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Entscheidung vom 29.10.2020; Aktenzeichen 714 Ns 63/20)

AG Hamburg-Wandsbek (Entscheidung vom 29.07.2020)

 

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten werden die Urteile des Landgerichts Hamburg, Kleine Strafkammer 14, vom 29. Oktober 2020 und des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek, Abteilung 726b, vom 29. Juli 2020 aufgehoben.

Das Verfahren wird eingestellt.

Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen.

 

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat unter dem 11. Oktober 2019 gegen den Angeklagten wegen des Vorwurfs einer am 28. Oktober 2018 begangenen Tat des "gewerbsmäßigen" "unerlaubten" Handeltreibens mit Betäubungsmitteln Anklage zum Amtsgericht Hamburg-Wandsbek erhoben. Die damalige Vorsitzende der Abteilung 726b des Amtsgerichts hat mit Beschluss vom 19. Dezember 2018 die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet.

Mit weiterer zum Amtsgericht Hamburg-Wandsbek erhobener Anklage vom 8. Juni 2020 hat die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten vorgeworfen, am 31. März 2020 mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel getrieben zu haben. Der Vorsitzende der Abteilung 726b hat insoweit, ohne zuvor über die Eröffnung des Hauptverfahrens zu entscheiden, Termin zur Hauptverhandlung anberaumt.

In der Hauptverhandlung vom 29. Juli 2020 war das Amtsgericht mit dem Vorsitzenden und zwei Schöffen besetzt und hat nach dem Inhalt der Sitzungsniederschrift im Anschluss an die Vernehmung des Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse und die Verlesung eines oder beider Anklagesätze

"Beschlossen und verkündet:

Die Verfahren 726b Ds 125/19 und 726b Ls 79/20 werden miteinander verbunden. Das Verfahren 726b Ls 79/20 führt.

Die Anklageschrift vom 08.06.20 wird zur Hauptverhandlung zugelassen."

Mit weiterem Beschluss ist das Verfahren hinsichtlich des in der Anklage vom 11. Oktober 2019 bezeichneten Tatvorwurfs gem. § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden.

Mit am 29. Juli 2020 verkündetem Urteil hat das Amtsgericht den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat, und die Einziehung verschiedener Gegenstände angeordnet.

Auf die hiergegen von der Staatsanwaltschaft eingelegte, auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung hat das Landgericht Hamburg, Kleine Strafkammer 14, mit Urteil vom 29. Oktober 2020 das amtsgerichtliche Urteil dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte wegen "vorsätzlichen unerlaubten" Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten verurteilt worden ist.

Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der am Tag der Urteilsverkündung eingelegten und, nach am 18. November 2020 erfolgter Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe, am 18. Dezember 2020 begründeten Revision.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat auf Aufhebung des Urteils angetragen.

II.

Auf die zulässig erhobene und begründete Revision des Angeklagten (§§ 341, 344, 345 StPO) war das Verfahren im Hinblick auf die zur Verurteilung gelangte Tat aus der Anklageschrift vom 8. Juni 2020 wegen eines nicht behebbaren Verfahrenshindernisses gem. § 260 Abs. 3 StPO einzustellen. Es mangelt an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss.

1. Mit dem Beschluss über die Eröffnung des Hauptverfahrens lässt das Gericht gem. § 207 Abs. 1 StPO die Anklage zur Hauptverhandlung zu und bezeichnet das Gericht, vor dem letztere stattfinden soll. Die Entscheidung muss in schriftlich verkörperter Form vorliegen (LK-Stuckenberg § 207 Rn. 33 m.w.N.).

Spricht das Gericht die Zulassung der Anklage nicht ausdrücklich aus, kann diese auch aus schlüssiger Erklärung zu entnehmen sein, sofern dem ausgelegten richterlichen Willensakt deutlich zu entnehmen ist, dass das Gericht die Anklage nach Prüfung und Annahme der Eröffnungsvoraussetzungen zur Hauptverhandlung zulassen wollte (MüKo-StPO/Wenske § 207 Rn. 26; LR-Stuckenberg § 207 Rn. 54), weshalb insbesondere eine - im Ergebnis bejahende - Auseinandersetzung des Gerichts mit der Frage hinreichenden Tatverdacht erkennbar sein muss (vgl. BGH Beschl. v. 20. November 1987, Az.: 3 StR 493/87; Wenske aaO.; KK-StPO/Schneider § 207 Rn. 17; HK-Julius/Schmidt § 207 Rn. 17). In der nur begrenzt einheitlichen Grundsätzen folgenden obergerichtlichen Rechtsprechung sind unter anderem ein Verbindungsbeschluss, eine Besetzungsentscheidung bei zugleich ergangenem Haftbefehl, und die zeitlich eng mit einer Haftfortdauerentscheidung zusammenfallende Bestim...

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