Entscheidungsstichwort (Thema)

Widerruf der Vertragserklärung eines Bürgen nach § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Widerruf der Vertragserklärung des Bürgen ist nach § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB möglich, wenn dem Gläubiger der Widerruf entweder vor der Bürgschaftsurkunde oder aber zeitgleich mit der Bürgschaftsurkunde zugeht.

 

Normenkette

BGB § 130 Abs. 1 S. 2, § 147 Abs. 2, § 150 Abs. 2, §§ 765-766; ZPO § 531 Abs. 2, § 539 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Wiesbaden (Urteil vom 11.05.2022; Aktenzeichen 5 O 150/20)

 

Gründe

I. Die Klägerin begehrt von den Beklagten als Gesamtschuldnern die Zahlung von EUR 157.957,51 nebst Zinsen aus zwei gesonderten - zwischen den Parteien im Einzelnen streitigen - Bürgschaftserklärungen.

Die Klägerin ist eine Versicherungsgesellschaft und vertreibt ihre Produkte sowohl über Handelsvertreter als auch mit Hilfe von Versicherungsmaklern im Sinne von §§ 93 ff. HGB. Die Hauptschuldnerin, die X GmbH, war aufgrund einer Courtagezusage vom 4. April 2018 (Anlage K 1) Versicherungsmaklerin gemäß den §§ 93 ff. HGB und vermittelte Versicherungsverträge an Kunden der Klägerin.

Gemäß der der Maklervereinbarung zu Grunde liegenden "Allgemeinen Courtagebestimmungen KV" erhielt die Hauptschuldnerin für ihre Tätigkeit eine Provision aus den Versicherungsprämien ausgezahlt, die aufgrund der von ihr vermittelten Versicherungsverträge von den jeweiligen Versicherungsnehmern bezahlt wurden. Gemäß den Courtagebestimmungen entsteht der Anspruch der Hauptschuldnerin auf Courtage mit der erfolgreichen Vermittlung eines Produktes der Klägerin. Nach Ziff. 3.1.1 der Courtagebestimmungen ist die Courtage ganz bzw. anteilig zurückzuzahlen, wenn innerhalb der Provisionshaftzeit der Versicherungsnehmer die erste Folgeprämie ganz oder teilweise nicht bezahlt oder die Klägerin eine Versicherung aufhebt, die Beiträge ermäßigt oder bereits entrichtete Beiträge ganz oder anteilig zurückzahlt. Für die Höhe der zu zahlenden Courtage ist die vereinbarte Vertragsdauer der Versicherung und die Anzahl der Monate maßgebend, für die eine Beitragszahlung nicht geleistet wurde (Ziff. 3.1.2 und 3.1.3).

Das Agenturkonto der Hauptschuldnerin wies aufgrund der Stornierung und Rückbelastung von Courtagen einen Rückforderungssaldo in Höhe von EUR 157.957,51 auf.

Dieser Beitrag wurde von der Klägerin gegenüber der Hauptschuldnerin gerichtlich eingeklagt. Das Landgericht Mainz sprach der Klägerin in dem Verfahren ...) den vollen Betrag nebst näher bezeichneter Zinsen zu. Auf die Berufung der Hauptschuldnerin änderte das Oberlandesgericht Koblenz das erstinstanzliche Urteil hinsichtlich der Zinsentscheidung teilweise ab und verurteilte die Hauptschuldnerin zur Zahlung eines Betrages in Höhe von EUR 157.957,51 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus EUR 148.932,63 seit dem 2. April 2019 und aus weiteren EUR 9.024,88 seit dem 12. Juli 2019 (Aktenzeichen ...). Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf das als Anlage K 3 in Kopie vorgelegten Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz verwiesen (Bl. 28 ff. d. A.). Das Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz ist rechtskräftig.

Die Hauptschuldnerin hat an die Klägerin keine Zahlungen geleistet.

Die beiden Beklagten waren Geschäftsführer der Hauptschuldnerin. Der Beklagte zu 1 unterzeichnete am 27. April 2018 eine Bürgschaftserklärung, nach der er als Geschäftsführer der Hauptschuldnerin eine selbstschuldnerische Ausfallbürgschaft gegenüber der Klägerin unter Verzicht auf die Einrede der Vorausklage, der Anfechtbarkeit und der Aufrechenbarkeit gemäß den §§ 770, 771 BGB für sämtliche Ansprüche, die der Klägerin aus dem Vermittlungsvertrag/der Courtagevereinbarung gegenüber der Hauptschuldnerin, der X GmbH, zustehen, übernimmt. Wegen der näheren Einzelheiten der Bürgschaftserklärung wird auf die als Anlage K 4 zu den Akten gereichte Kopie Bezug genommen (BI. 41 d. A.).

Die Bürgschaftserklärung verweist auf eine Anlage mit der Bezeichnung "Disclaimer", in der es unter anderem unter der Überschrift "Umfang der Bürgschaftserklärung" heißt: "Die Bürgschaftserklärung umfasst sämtliche Ansprüche, die der Y-AG aus der jeweiligen Courtagezusage des Vermittlers zustehen. Davon umfasst sind sowohl Ansprüche aus Courtagerückforderungen, sowie damit in Zusammenhang stehende Kosten, wie z. B. Mahnkosten, Vollstreckungskosten." Wegen der näheren Einzelheiten des Disclaimers wird auf Bl. 42 d. A. verwiesen.

Der Beklagte zu 2 unterzeichnete am 27. April 2018 eine mit der Anlage K 4 gleichlautende (textidentische) Bürgschaftserklärung. Wegen der näheren Einzelheiten der Bürgschaftserklärung wird auf die als Anlage K 5 zu den Akten gereichte Kopie Bezug genommen (BI. 43 d. A.). Auch dieses Bürgschaftsformular verweist auf eine Anlage mit der Bezeichnung "Disclaimer". Insoweit wird für die näheren Einzelheiten auf die Anlage K 5 (BI. 44 d. A.) verwiesen.

Mit den beiden unterschriebenen Bürgschaftsformulare (Anlagen K 4 und K 5) ging bei der Klägerin ein Übersendungsschreiben vom 27. April 2018 ei...

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