Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Anwendung von § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HWG auf Medizinprodukte (hier: bioresorbierbares Gefäßgerüst)

 

Normenkette

HWG § 11

 

Verfahrensgang

LG Limburg a.d. Lahn (Urteil vom 04.03.2016; Aktenzeichen 5 O 17/15)

BGH (Aktenzeichen I ZR 82/17)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 01.02.2018; Aktenzeichen I ZR 82/17)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 04.03.2016 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des LG Limburg wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin möchte der Beklagten verbieten, ein Medizinprodukt mit einer ärztlichen Empfehlung zu bewerben.

Die Beklagte entwickelt Produkte zur Behandlung von Herzkreislauf- und Gefäßerkrankungen. Eines ihrer Produkte betrifft ein bioresorbierbares Gefäßgerüst zur Behandlung von koronaren Herzkrankheiten. Herkömmlicherweise können Gefäßverengungen dadurch behandelt werden, dass ein Röhrchen aus Metallgeflecht an die verengte Stelle der Arterie verbracht und in die Gefäßwand implantiert wird, um so den Blutdurchfluss zu verbessern. Der Stent verbleibt dauerhaft im Gefäß. Das von der Beklagten entwickelte bioresorbierbare Gefäßgerüst wird ebenfalls an die verengte Stelle der Arterie verbracht und in die Gefäßwand implantiert. Im Unterschied zum herkömmlichen Koronar-Stent löst sich das bioresorbierbare Gefäßgerüst nach und nach auf, verbleibt also nicht dauerhaft in der Gefäßwand.

Die Beklagte bewirbt ihr selbstauflösendes Gefäßgerüst auf einer Internetseite. Über eine Verlinkung ist ein Video mit der Patientengeschichte einer weiblichen Person namens B abrufbar. Darin heißt es unter anderem wie folgt:

"Es war der zweite (Anm.: Herzinfarkt)... Da wurde ich gefragt, welchen Stent ich für mich bevorzugen würde. Ich wusste nicht, dass es zwei Sorten gibt. Doktor A sagte mir, es gebe ein neues Verfahren, eine Sorte Stent, die sich auflöst... Er sagte: "Ich würde mich für die neue Variante entscheiden". Ich habe gesagt: "Okay, dann entscheide ich das so und nehme den neuen Stent."...

Hinsichtlich der Einzelheiten des Videos wird auf die Anlagen K6, K7 Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen (§ 540 I, 1 ZPO).

Das LG hat die Klage abgewiesen. Der Anwendungsbereich des HWG, insbesondere des Verbotstatbestandes nach § 11 I S. 1 Nr. 2 HWG, sei nicht eröffnet, weil es sich bei dem beworbenen Gefäßgerüst um ein Medizinprodukt handelt. Gegen diese Beurteilung wendet sich die Klägerin mit der Berufung. Im Berufungsrechtszug wiederholen und vertiefen die Parteien ihr Vorbringen.

Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des Urteils des LG Limburg vom 04.03.2016, Az. 5 O 17/15, die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu unterlassen, geschäftlich handelnd eine Koronarintervention durch Einsetzen eines bioresorbierbaren Gefäßgerüsts in ein Herzkranzgefäß mit der Empfehlung eines Arztes zu bewerben und/oder bewerben zu lassen, wenn dies geschieht wie in dem Video "B - Land1" gemäß der Anl. K6.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.

II. Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Die Klage ist zulässig. Der Unterlassungsantrag ist hinreichend bestimmt im Sinne des § 253 II Nr. 2 ZPO. Er ist auf die konkrete Verletzungsform in Gestalt des Werbevideos bezogen. Nach dem Wortlaut des abstrakten Teils des Antrags soll die (angebliche) Bewerbung der Koronarintervention zum Einsetzen eines bioresorbierbaren Gefäßgerüsts in ein Herzkranzgefäß verboten werden. Diese Formulierung deutet darauf hin, dass Anknüpfungspunkt des angestrebten Verbots die Bewerbung einer "Behandlung" i.S.d. § 1 I HWG ist. Darauf ist das Klagebegehren jedoch nicht beschränkt. In erster Linie wendet sich die Klägerin gegen die Bewerbung des bioresorbierbaren Gefäßgerüsts selbst, bei dem es sich nach Meinung der Klägerin sowohl um ein Medizinprodukt als auch um einen "Gegenstand" i.S.d. HWG handeln soll (vgl. Bl. 41 d.A.). Aus der Klagebegründung wird hinreichend deutlich, dass sich das Verbot auf beides beziehen soll - die Bewerbung des Gefäßgerüsts und die Bewerbung der Behandlung mit dem Gefäßgerüst.

2. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch nach § 11 I S. 1 Nr. 2 HWG i.V.m. §§ 3, 3a, 8 I, III Nr. 2 UWG auf Unterlassung der Bewerbung des bioresorbierbaren Gefäßgerüsts mit einer ärztlichen Empfehlung.

a) Nach § 11 I S. 1 Nr. 2 HWG darf für Arzneimittel, Verfahren, Behandlungen, Gegenstände oder andere...

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