Entscheidungsstichwort (Thema)

Beihilfe zum Völkermord. Strafbarkeit eines ehemaligen ruandischen Bürgermeisters wegen der Beteiligung an einem Massaker in Ruanda. Anwendbarkeit deutschen Strafrechts. subjektiver Tatbestand. Gesamttat als Bezugspunkt. Mittäterschaft

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Strafbarkeit eines ehemaligen ruandischen Bürgermeisters wegen der Beteiligung an einem Massaker, das im Zuge des Genozids verübt wurde, der 1994 in Ruanda stattfand.

2. § 220a Abs. 1 Nr. 1 StGB in der Fassung vom 10. März 1987 und § 27 StGB sind auf die Taten des Angeklagten anwendbar, obwohl er diese im Ruanda und damit im Ausland beging. Dies folgt aus § 6 Nr. 1 StGB in der Fassung vom 23. Juli 1993. Der Anwendung deutschen Strafrechts steht kein völkerrechtliches Verbot entgegen.

3. Dass der Angeklagte selbst nicht in der Absicht handelte, die durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe der Tutsi als solche ganz oder teilweise zu zerstören, steht seiner Bestrafung als Gehilfe im Sinne von § 27 StGB nicht entgegen. Für die Strafbarkeit wegen Beihilfe zum Völkermord genügt es, dass der oder die Haupttäter die tatbestandlich vorausgesetzte Absicht hatten und der Gehilfe dies weiß.

4. Die individuelle Verwirklichung des Tatbestandes des Völkermordes ist in ein Gesamtunrechtsgeschehen eingebunden, da die bei dem Kirchenmassaker von Kiziguro begangenen Einzeltaten mit dem ruandischen Genozid verknüpft waren und sowohl den Haupttätern als auch dem Angeklagten die Propaganda, mit der zur Tötung der den Tutsi angehörenden Menschen aufgefordert wurde, bekannt war und sie ebenfalls wussten, dass das Kirchenmassaker von Kiziguro in Befolgung und Umsetzung dieser Propaganda stattfand.

5. Die Voraussetzungen einer Verurteilung des Angeklagten wegen in mittäterschaftlicher mittelbarer Täterschaft begangenen Völkermords liegen nicht vor, weil der Angeklagte weder durch die jeweils einzelnen, das Massaker fördernden Handlungen noch durch diese Handlungen in ihrer Gesamtheit Tatherrschaft hatte. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Handlungen des Angeklagten aus seiner Sicht derart wesentlich für das Massaker waren, dass dessen Durchführung aus seiner Sicht wesentlich von seiner Mitwirkung abhing. Außerdem fehlt es an der für die Verurteilung wegen täterschaftlich begangenen Völkermords an der wesentlichen Voraussetzung, dass der Angeklagte selbst in der Absicht handelte, die durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe der Tutsi als solche ganz oder teilweise zu zerstören.

 

Normenkette

StGB § 6 Nr. 1, § 25 Abs. 1-2, §§ 27, 220a Abs. 1 Nr. 1; VStGB §§ 1, 6 Abs. 1 Nr. 1

 

Tenor

Der Angeklagte wird wegen Beihilfe zum Völkermord zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt.

Es wird festgestellt, dass sechs Monate dieser Freiheitsstrafe als vollstreckt gelten.

Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen zu tragen. Er hat darüber hinaus die den Nebenklägern erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Auf die Anträge des Pfarrers A vom 10.01.2011, der Psychotherapeutin B vom 04.01.2011 und der Rechtsanwältin RA1 vom 10.01.2011 auf Überprüfung der mit den Beschlüssen des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof vom 07.04.2008 (Az.: 4 BGs 1/20083, BJs 10/08-2), vom 03.11.2008 (Az.: 4 BGs 2/2008, 3 BJs 10/08-2) und vom 03.12.2008 (Az.: 4 BGs 4/2008, 3 BJs 10/08-2) angeordneten Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen an den Anschlüssen 01XX/XXXXXX und 06XXX/XXXXXX wird festgestellt, dass diese Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen rechtmäßig angeordnet und in rechtmäßiger Art und Weise vollzogen worden sind.

Angewendete Strafvorschriften:

§ 220a Abs. 1 Nr. 1 StGB a. F, § 27 StGB.

 

Gründe

Vorbemerkung:

Die in dem zentralafrikanischen Land Ruanda lebende Bevölkerung wurde seit frühester Zeit in die durch ihr Volkstum bestimmten Gruppen der Hutu, der Tutsi und der Twa eingeteilt. Es gab vielfach ethnisch motivierte Gewalttaten. Der Angeklagte, der der Volksgruppe der Hutu angehört, war seit 1988 Bürgermeister der ca. 65.000 Einwohner zählenden, im Norden Ruandas gelegenen Gemeinde Muvumba. Nachdem am 1. Oktober 1990 die Front Patriotique Rwandais (FPR), der mehrheitlich Tutsi angehörten, von Uganda aus Ruanda angegriffen hatte, flohen die Bürger Muvumbas in Richtung Süden. 1993 erreichten sie die Gemeinde Murambi, wo sie unter der Verwaltung des Angeklagten in drei Flüchtlingslagern lebten. In dieser Zeit wurde in Ruanda eine Propaganda betrieben, der zufolge die Angehörigen der durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe der Tutsi "Komplizen" der FPR und deshalb Staatsfeinde waren, die sowohl körperlich als auch als soziale Gruppe vernichtet werden müssen. Es hatten sich die extremistischen Interahamwe-Milizen gebildet, die Tutsi angriffen und verfolgten.

Als am Abend des 6. April 1994 das Flugzeug des ruandischen Präsidenten Habyarimana beim Landeanflug auf den Flughafen von Kigali abgeschossen wurde, begann der ruandische Genozid, bei dem Angehörige der Bevölkerungsmehrheit der Hutu in der Zeit vom 6. April 1994 bis zum 18. Juli 1994 zwi...

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