Entscheidungsstichwort (Thema)

Kollision eines Pkw mit einem auf einem Seitenstreifen einer Bundesautobahn fahrenden Einsatzfahrzeug der Polizei

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nutzt ein Einsatzfahrzeug der Polizei, das zu einem Verkehrsunfall auf einer Bundesautobahn gerufen worden ist, den Seitenstreifen, ist die Nutzung des Seitenstreifens von dem Sonderrecht des § 35 Abs. 1 StVO gedeckt, ohne dass es darauf ankommt, ob sich zwischenzeitlich bereits Rettungsgassen gebildet haben.

2. Kollidiert ein Pkw, der beim Wechsel von der mittleren auf die rechte Fahrspur einer Autobahn über die Begrenzungslinie hinaus auf den Seitenstreifen gerät, mit einem dort nur mit mäßiger Geschwindigkeit (hier: 45-50 km/h) und Blaulicht fahrenden Einsatzfahrzeug der Polizei, haftet der den Fahrstreifen wechselnde Pkw für den Unfall allein.

 

Normenkette

StVG § 17; StVO § 35 Abs. 1, 8

 

Verfahrensgang

LG Gießen (Urteil vom 10.09.2013; Aktenzeichen 2 O 515/12)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 10.9.2013 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des LG Gießen wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

(von der Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen, §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1, 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO).

I. Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Das LG hat zu Recht das klageabweisende Versäumnisurteil aufrechterhalten. Die Entscheidung beruht weder auf einem Rechtsfehler noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 ZPO).

Die Klägerin kann nicht von dem beklagten Land gemäß § 7 Abs. 1, § 17 Abs. 1, 2 StVG Schadensersatz wegen der Kollision des von ihrem Sohn geführten Pkw ... mit dem Einsatzfahrzeug des Beklagten am ... Mai 2012 auf der Bundesautobahn A. in der Gemarkung ... verlangen.

1. Die Klägerin hat schon den ihr obliegenden Unabwendbarkeitsnachweis gemäß § 17 Abs. 3 StVG nicht geführt. Denn ihr Sohn hat bei dem Wechsel von der mittleren auf die rechte Fahrbahn nicht jede nach den Umständen des Falles erforderliche Sorgfalt beachtet, als er mit dem rechten vorderen Kotflügel des ihm gelenkten Pkw über die rechte Fahrbahnbegrenzung hinaus auf den Standstreifen geraten und dabei mit dem Einsatzfahrzeug des Beklagten kollidiert ist.

2. Dabei kann dahinstehen, ob die Kollision für den Fahrer des Einsatzfahrzeuges unabwendbar war. Selbst wenn sich der Unfall für den Beklagten nicht als unabwendbares Ereignis darstellen würde, könnte die Klägerin keinen Ersatz verlangen. Denn die nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG vorzunehmende Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge führt zu dem Ergebnis, dass der Sohn der Klägerin die Kollision allein verursacht hat und auch eine Betriebsgefahr des Einsatzfahrzeuges vollständig hinter dem Verschulden des Sohnes der Klägerin und der Betriebsgefahr des von ihm geführten Fahrzeugs zurücktritt.

a) Bei der Abwägung sind nur unstreitige, erwiesene oder zugestandene Tatsachen zugrunde zu legen.

aa) Der Sohn der Klägerin hat den Unfall dadurch allein verursacht, dass er beim Wechsel von dem mittleren auf den rechten Fahrstreifen mit dem von ihm geführten Fahrzeug über die Begrenzungslinie hinaus auf den Seitenstreifen geraten ist. Damit hat er gegen das Gebot der Fahrbahnbenutzung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 StVO verstoßen, weil der durch das Zeichen 295 der Anlage 2 lfd. Nr. 68 zu § 41 Abs. 1 StVO ("durchgehende Linie") getrennte Seitenstreifen gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 StVO nicht Bestandteil der Fahrbahn ist und außerdem die durchgehende Linie nicht gemäß Anlage 2 lfd. Nr. 68 Spalte 3 Nr. 1. a) überfahren werden darf. Denn diese darf nur in den in der Anlage 2 lfd. Nr. 68 Spalte 3 zu § 41 Abs. 1 StVO normierten Ausnahmen überfahren werden, die hier jedoch nicht vorliegen.

bb) Die Berufung kann demgegenüber nicht geltend machen, der Sohn der Klägerin habe nicht mit einem von hinten auf dem Standstreifen herannahenden Einsatzfahrzeug rechnen müssen. Denn die Beamten haben, als sie unter Einsatz von blauem Blinklicht den Seitentreifen befuhren, nicht gegen die Straßenverkehrsordnung verstoßen. Entgegen der von der Berufung vertretenen Ansicht mussten die Beamten für ihre Einsatzfahrt nicht etwaig gebildete Rettungsgassen benutzen. Die Fahrt auf dem Seitenstreifen als solche wirkt nicht haftungsbegründend, da sie keinen rechtswidrigen Verstoß gegen Vorschriften der StVO darstellt. Die Beamten waren bei ihrer Einsatzfahrt gemäß § 35 Abs. 1 StVO von den Vorschriften dieser Verordnung befreit. Nach § 35 Abs. 1 StVO ist u.a. die Polizei von den Vorschriften der Verordnung befreit, soweit das zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist. Entgegen der von der Klägerin vertretenen Auffassung bezieht sich die Voraussetzung "soweit das zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist" nicht auf die Frage, ob die Nutzung des Seitenstreifens geboten war, sondern darauf, ob die Erfüllung der öffentlichen Auf...

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