Entscheidungsstichwort (Thema)

Heilung einer unwirksamen Zustellung im Eilverfahren; unzulässige Rechtsausübung durch Geltendmachung des Einwands der unwirksamen Vollziehung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die unwirksame Vollziehung einer einstweiligen Verfügung durch E-Mail des Antragstellervertreters kann als geheilt gelten, wenn der Beschluss, mit dem die einstweilige Verfügung angeordnet wird, dem Antragsgegner überobligatorisch von Amts wegen zugestellt wurde.

2. Der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung nach § 242 BGB kann auch dann geltend gemacht werden, wenn sich die Gegenseite im Eilverfahren auf die Versäumung der Vollziehungsfrist beruft.

 

Normenkette

BGB § 242; ZPO §§ 130a, 130b, 172, 189, 191, 195, 750, 922, 929

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Urteil vom 07.07.2020; Aktenzeichen 3-6 O 13/20)

 

Tenor

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Auf die Berufung der Antragstellerin wird das Urteil des Landgericht Frankfurt am Main vom 7.7.2020 abgeändert.

Die einstweilige Verfügung des Landgerichts vom 7.7.2020 wird im Sinne eines Neuerlasses bestätigt.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Das Urteil ist rechtskräftig.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten über die Aufhebung einer einstweiligen Verfügung.

Die Antragstellerin hatte am 16.1.2020 vor dem Senat eine einstweilige Verfügung erwirkt, wonach der Antragsgegnerin untersagt wurde, Elektroprodukte in den Bereichen Klima/Haarstyling/Staubsauger zu vertreiben und hierbei den Verkaufsverpackungen bestimmte Garantiebedingungen beizufügen. Eine beglaubigte Abschrift des Beschlusses wurde dem Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin von Amts wegen am 29.1.2020 zugestellt (EB Bl. 464).

Am selben Tag übersandte der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin dem Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin eine mit dem Betreff "Vollziehung der eV OLG FFM .../19" versehene E-Mail, in der als angehängtes PDF-Dokument ein Scan einer einfachen Abschrift der Beschlussverfügung des Senates enthalten war (Anlage AS 1). Das Anschreiben enthielt u.a. folgende Formulierung: "In vorbezeichneter Angelegenheit übersenden wir anbei zum Zwecke der Vollziehung die einstweilige Verfügung des OLG Frankfurt .../19. Zur Meidung einer Zustellung der Ausfertigung per GVZ bitten wir um Überlassung eines EB bis zum 04.02.2020."

Hierauf reagierte der Prozessbevollmächtigte der Antragsgegnerin mit Schreiben vom selben Tag (Anl. F2, Bl. 21), in dem er u.a. erklärte:

"Sehr geehrter Herr Kollege X, hiermit bestätige ich den Eingang Ihres Schreibens vom heutigen Tage mit der einstweiligen Verfügung des OLG Frankfurt .../19 zum Zwecke der Vollziehung. Wie wir mit den von Ihnen angesprochenen Anspruchsbegründungen umgehen, muss ich mit der Mandantin erst abstimmen. In der kommenden Woche bin ich im Ski-Urlaub, so dass ich erst ab dem 10. Februar auf die Sache zurückkommen kann. Ich melde mich dann so schnell wie möglich, mit dem Eilverfahren sind wir aber auch erst einmal durch. Unsere Mandantin wird sich rechtzeitig zu den weiteren Fragen erklären, eines Abschlussschreibens bedarf es nicht."

Das Landgericht hat durch Urteil vom 7.7.2020 die einstweilige Verfügung wegen eines Vollziehungsmangels aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Übersendung einer einfachen unbeglaubigten Abschrift als Anhang einer E-Mail genüge nicht den Anforderungen des § 928 Abs. 2 ZPO. Der Zustellungsmangel könne auch nicht gemäß § 189 ZPO geheilt werden, weil der Vollziehungswille nicht ausreichend hervorgetreten sei. Die Berufung auf den Formmangel sei der Aufhebungsbeklagten auch nicht nach § 242 BGB verwehrt.

Von einer weiteren Darstellung des Sachverhaltes wird gemäß § 540 Abs. 2 i.V.m. § 313a ZPO abgesehen.

II. Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg. Die einstweilige Beschlussverfügung des Senats unterliegt nicht der Aufhebung, da die unwirksame Zustellung als geheilt anzusehen ist und es zudem der Antragsgegnerin gemäß § 242 ZPO verwehrt ist, sich auf eine unwirksame Vollziehung der einstweiligen Verfügung zu berufen.

1. Die einstweilige Verfügung des Senats wurde der Antragsgegnerin durch die Übersendung eines Scans einer einfachen Abschrift per E-Mail nicht wirksam zugestellt.

a) Der Antragsteller, der eine einstweilige Verfügung erwirkt hat, muss diese gemäß § 929 ZPO vollziehen. Durch die Vollziehung der einstweiligen Verfügung soll dem Antragsgegner verdeutlicht werden, dass der Antragsteller bereit ist, die Zwangsvollstreckung aus dem gerichtlichen Untersagungsgebot zu betreiben. Dies bedeutet auch, dass der Antragsteller gewillt ist, das Haftungsrisiko nach § 945 ZPO einzugehen (Danckwerts/Papenhausen/Scholz/Tavanti, Wettbewerbsprozessrecht, 1. Auflage 2016, Rn. 948 ff.). Die Vollziehung erfolgt in der Regel mit der Zustellung der einstweiligen Verfügung an den Antragsgegner bzw. dessen bestelltem Prozessbevollmächtigten.

b) Der Wirksamkeit des hier erfolgten Vollziehungsversuchs durch Zustellung des Beschlusses steht schon grundsätzlich entgegen, dass diese per E-Mail erfolgt ist. ...

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