Entscheidungsstichwort (Thema)

Abwägung. Beweiserhebungsverbot. Beweisverwertungsverbot. Blutuntersuchung. Cannabis. Marihuana. Richtervorbehalt. THC. Zur Frage der Abwägung, ob ein Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht

 

Leitsatz (amtlich)

Die Frage, ob ein Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht, ist jeweils nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden.

 

Normenkette

StPO § 81a; OWiG § 79 Abs. 3; GVG § 121 Abs. 2; StPO § 473 Abs. 1; OWiG § 46 Abs. 1

 

Verfahrensgang

AG Gießen (Entscheidung vom 27.09.2010; Aktenzeichen 5212 OWi 103 Js 5688/10)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde wird auf Kosten des Betroffenen als unbegründet verworfen.

 

Gründe

Das Amtsgericht Gießen hat den Betroffenen wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeuges im Straßenverkehr unter Wirkung eines berauschenden Mittels (Cannabis-THC) zu einer Geldbuße von 1.000 Euro verurteilt, Ratenzahlung gewährt und ein Fahrverbot für die Dauer von drei Monaten ab Rechtskraft des Urteils verhängt.

Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene am ....2009, einem ..., gegen 13:35 Uhr als Führer eines PKW die ... Straße in Stadt1. An der Ecke ... Straße führte der Zeuge POK P1 eine Fahrzeug- und Personenkontrolle durch. Die Pupillen des Betroffenen waren groß, sie reagierten nicht auf Lichtreize. Der Zeuge fand in der Mittelkonsole des PKW Reste von Marihuana. Ein freiwillig durchgeführter Urintest reagierte positiv auf THC.

Der Polizeibeamte ordnete eine Blutentnahme an, erklärte dem Betroffenen die Festnahme und brachte ihn zur Polizeistation ....

Er kannte zwar den Richtervorbehalt des § 81a StPO, versuchte jedoch nicht, eine richterliche Entscheidung herbeizuführen, weil nach einer für ihn geltenden Dienstanweisung eine richterliche Entscheidung zwar bei Blutentnahmen wegen des Verdachts der Alkoholisierung herbeizuführen war, nicht aber bei Verdacht auf den Konsum von Betäubungsmitteln. In diesen Fällen sei stets Gefahr im Verzug anzunehmen.

Auf der Polizeistation entnahm ein Arzt um 14:37 Uhr die angeordnete Blutprobe. Der Betroffene duldete die Maßnahme ohne ihr zuzustimmen oder zu widersprechen.

Die Untersuchung der Blutprobe ergab eine THC-Gehalt von 3,1 µg/l, die Wirkstoffe THC-Metabolit (THC-11-OH) 3,2 µg/l und THC-Metabolit (THC-COOH, THC-Carbonsäure) 124, 8 µg/l.

Das Amtsgericht hat das Ergebnis der Blutuntersuchung und die dazu gemachten Angaben des Zeugen P1 gegen den in der Hauptverhandlung rechtzeitig erhobenen Widerspruch des Betroffenen verwertet.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Rechtsbeschwerde, mit der er neben der allgemeinen Sachrüge insbesondere die Rüge erhebt, dass das Amtsgericht die Ergebnisse der Blutuntersuchung trotz eines bestehenden Beweisverwertungsverbotes berücksichtigt habe.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

Der Einzelrichter des Bußgeldsenates hat die Sache gem. § 80 a III OWiG zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

Die zulässig erhobene Verfahrensrüge, mit welcher der Betroffene die Verwertbarkeit der durch den Zeugen P1 wegen des Verdachts einer Drogenfahrt angeordneten Blutentnahme und des hierzu ergangenen toxikologischen Gutachtens beanstandet, greift nicht durch.

Es ist nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht die Verurteilung auf die Verwertung der dem Betroffenen entnommenen Blutprobe und des daraus resultierenden Gutachtens gestützt hat.

Zwar war vorliegend - entgegen der Ansicht des Amtsgerichtes - ein Beweiserhebungsverbot gegeben.

Die Anordnung der Blutentnahme darf gem. § 81 a II StPO nur durch den zuständigen Richter, bei Gefährdung des Untersuchungserfolges auch durch die Staatsanwaltschaft und nachrangig durch ihre Ermittlungspersonen erfolgen.

Die Strafverfolgungsbehörden müssen daher grundsätzlich versuchen, eine Anordnung des zuständigen Richters zu erlangen, bevor sie selbst eine Blutprobe anordnen. Die Gefährdung des Untersuchungserfolges muss mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen und in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind, sofern die Dringlichkeit nicht evident ist (BVerfGE 103, 142; BVerfG (Kammer), Beschluss vom 11.6.2010 - 2 BvR 1046/08 - juris). Das Bestehen einer solchen Gefährdung unterliegt der vollständigen, eine Bindung an die von der Exekutive getroffenen Feststellungen und Wertungen ausschließenden gerichtlichen Überprüfung (BVerfG aaO.; OLG Hamm, B. v. 28.4.2009 - 2 Ss 117/09 - juris).

Nach diesen Maßstäben war der die Blutentnahme hier anordnende Polizeibeamte zu einer solchen Maßnahme unter dem Gesichtspunkt der Gefahr im Verzug nicht befugt. Der Betroffene war an einem gewöhnlichen...

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