Entscheidungsstichwort (Thema)

Allgemeiner Gerichtsstand einer GmbH in Gemeinden mit mehreren Amtsgerichtsbezirken

 

Leitsatz (amtlich)

Eine GmbH, die in ihrer in mehrere Amtsgerichtsbezirke unterteilten satzungsmäßigen Sitzgemeinde keine aktuelle Geschäftsanschrift unterhält und deren Satzungssitz nicht auf einen dieser Bezirke hin konkretisiert ist, hat einen allgemeinen Gerichtsstand an allen Amtsgerichten der Gemeinde. Soll gegen eine solche Gesellschaft ein Verfahren am allgemeinen Gerichtsstand eingeleitet werden, hat der Antragsteller zwischen diesen Gerichten die Wahl (entgegen KG, Beschluss vom 11.10.2007 - 2 AR 41/07, NJOZ 2008, 237; entgegen Senat, Beschluss vom 04.04.2019, 11 SV 12/19, juris, Rn. 11 [Rechtsprechungsänderung]).

 

Normenkette

ZPO §§ 17, 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 3, § 828 Abs. 2

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Charlottenburg (Beschluss vom 24.02.2021; Aktenzeichen 32 M 308/21)

 

Tenor

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Zuständiges Gericht ist das Amtsgericht Charlottenburg.

 

Gründe

I. Die Gläubigerin hat bei dem Amtsgericht Hagen einen Vollstreckungsbescheid über eine Hauptforderung von 1.408,30 Euro nebst Zinsen und Kosten gegen die in diesem mit der Anschrift "Straße1, Stadt1" bezeichnete Schuldnerin erwirkt. Mit am 10.12.2020 beim Amtsgericht Gießen eingegangenem Antrag vom 02.12.2020 hat sie den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses gegen die Drittschuldnerin beantragt. Mit Beschluss vom 11.12.2020 hat das Amtsgericht Gießen (Az .../20) die Sache nach Anhörung des Gläubigers auf dessen Antrag an das von diesem bezeichnete Amtsgericht Berlin-Charlottenburg verwiesen. Es hat den Beschluss auf §§ 281, 802, 828 ZPO gestützt und zur Begründung ausgeführt, der von der Gläubigerin angegebene Wohnsitz liege dort. Mit Beschluss vom 24.02.2021 hat das Amtsgericht Charlottenburg (Az. 32 M 308/21) die Übernahme abgelehnt und das Verfahren an das Amtsgericht Gießen zurückgegeben. Der durch § 17 ZPO bestimmte Gerichtsstand werde durch den Sitz der Gesellschaft bestimmt. Sitz der Schuldnerin sei zwar Berlin, doch befinde sich der Verwaltungsort in Hungen, weshalb das Amtsgericht Gießen zuständig sei. Denn es mangele an einer Berliner Geschäftsanschrift, anhand der die örtliche Zuständigkeit innerhalb Berlins bestimmt werden könne. Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Charlottenburg als zentrales Registergericht ziehe nicht die Zuständigkeit als Vollstreckungsgericht nach sich.

Nachdem das Amtsgericht Gießen die Akte sodann erneut unter Hinweis auf § 281 Abs. 2 ZPO an das Amtsgericht Charlottenburg übersandt hat, hat dieses sie dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main zur Entscheidung nach § 36 II ZPO vorgelegt.

II. Die Voraussetzungen einer Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 I Nr. 6 ZPO liegen vor, da sich sowohl das Amtsgericht Gießen, als auch das Amtsgericht Charlottenburg für örtlich unzuständig erklärt haben. Die Zuständigkeitsbestimmung ist gem. § 36 II ZPO durch das Oberlandesgericht Frankfurt am Main vorzunehmen, da das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der beiden Amtsgerichte der Bundesgerichtshof wäre und das zum hiesigen OLG-Bezirk gehörende Amtsgericht Gießen zuerst mit der Sache befasst gewesen ist.

III. 1. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts Gießen ist eine Zuständigkeit des Amtsgerichts Charlottenburg nicht durch den Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Gießen begründet worden. § 281 ZPO, der in seinem Absatz 2 eine Unanfechtbarkeit von Verweisungsbeschlüssen anordnet, die nur in Fällen der Willkür entfällt, ist in Vollstreckungssachen nicht anwendbar. Er wird durch § 828 III ZPO verdrängt, der eine Abgabe auf Antrag des Gläubigers an das zuständige Gericht vorsieht. Diese ist nach der ausdrücklichen Regelung des § 828 III 2 ZPO nicht bindend.

2. Das Amtsgericht Charlottenburg ist sachlich und örtlich zuständig.

Zuständiges Vollstreckungsgericht ist gem. § 828 II ZPO das Amtsgericht, bei dem der Schuldner im Inland seinen allgemeinen Gerichtsstand hat.

Der allgemeine Gerichtsstand der Schuldnerin als juristischer Person wird gem. § 17 I ZPO durch ihren Sitz bestimmt. Der Sitz der Schuldnerin, einer GmbH, ist gem. § 4a GmbHG der Ort im Inland, den der Gesellschaftsvertrag bestimmt. Das gilt auch, wenn sich der Verwaltungssitz an einem anderen Ort befindet (RGZ 59, 106 (107 f.); Altmeppen, GmbHG, 10. Aufl. 2021, § 4a Rn. 5). Der Satzungssitz muss nicht in örtlichem Zusammenhang mit der Betriebsstätte oder der Hauptverwaltung stehen. Am Satzungssitz müssen sich keine betrieblichen Einrichtungen befinden. Auch die Wahl eines rein fiktiven Satzungssitzes im Inland ist zulässig (Altmeppen aaO, § 4a Rn. 7).

Notwendig ist die Angabe einer bestimmten Gemeinde im Inland. Soweit eine Gemeinde - wie Berlin - in mehrere (Amts-) Gerichtsbezirke zerfällt, bedarf es genauerer Bestimmung, um den Sitz als Anknüpfungspunkt gerichtlicher Zuständigkeiten hinreichend festzulegen. In der Kommentarliteratur wird dies meist für den Fall für entbehrlich gehalten, dass ein zentrales Registergericht eing...

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