Entscheidungsstichwort (Thema)

Allgemeiner Gerichtsstand einer GmbH in Gemeinden mit mehreren Amtsgerichtsbezirken

 

Leitsatz (amtlich)

Eine GmbH, die in ihrer in mehrere Amtsgerichtsbezirke unterteilten satzungsmäßigen Sitzgemeinde keine aktuelle Geschäftsanschrift unterhält und deren Satzungssitz nicht auf einen dieser Bezirke hin konkretisiert ist, hat einen allgemeinen Gerichtsstand an allen Amtsgerichten der Gemeinde. Soll gegen eine solche Gesellschaft ein Verfahren am allgemeinen Gerichtsstand eingeleitet werden, hat der Antragsteller zwischen diesen Gerichten die Wahl (Bestätigung von OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 29.04.2021 - 11 SV 16/21, entgegen KG, Beschluss vom 11.10.2007 - 2 AR 41/07 = NJOZ 2008, 237).

 

Normenkette

ZPO §§ 17, 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 3, § 828 Abs. 2

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Charlottenburg (Beschluss vom 22.02.2023; Aktenzeichen 31 M 217/23)

AG Frankfurt am Main (Beschluss vom 09.02.2023; Aktenzeichen 82 M 1009/23)

 

Tenor

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Zuständiges Gericht ist das Amtsgericht Charlottenburg - Vollstreckungsgericht - in Berlin.

 

Gründe

I. Die Gläubigerin hat bei dem Amtsgericht Stuttgart einen Vollstreckungsbescheid gegen die Schuldnerin erwirkt, deren Sitz in das Handelsregister des Amtsgerichts (Berlin-) Charlottenburg mit "Berlin" eingetragen ist. Außerdem ist dort als Geschäftsanschrift mit dem Zusatz "c/o" eine Steuerberatungsgesellschaft mit einer Adresse in Frankfurt am Main eingetragen. Mit am 19.01.2023 bei dem Amtsgericht Frankfurt am Main - Vollstreckungsgericht - eingegangenem Antrag hat die Gläubigerin den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses beantragt. Mit Verfügung vom 24.01.2023, Bl. 20 d.A., hat das Amtsgericht Frankfurt um Vortrag zur örtlichen Zuständigkeit und damit zum Sitz der Schuldnerin gebeten, der "üblicherweise mit dem Ort der Eintragung identisch" sei. Mit anwaltlichem Schreiben vom 02.02.2023, Bl. 21 d.A., hat die Gläubigerin Verweisung an das "örtlich zuständige Vollstreckungsgericht, das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg" beantragt, denn die Schuldnerin sei dort eingetragen. Mit Beschluss vom 09.02.2023, Bl. 23 d.A., hat sich das Amtsgericht Frankfurt am Main für örtlich unzuständig erklärt und die Sache auf den Antrag des Gläubigers gem. §§ 802, 828 II ZPO an das Amtsgericht Charlottenburg abgegeben, weil dort der Sitz der Schuldnerin liege. Mit Beschluss vom 22.02.2023 hat sich auch das Amtsgericht Charlottenburg - Vollstreckungsgericht - für örtlich unzuständig erklärt und die Sache dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main zur Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 I Nr. 6, II ZPO vorgelegt, da sich der Sitz der Schuldnerin nicht im dortigen Bezirk befinde. Die Zuständigkeit richte sich mangels anderer Anhaltspunkte nach der Geschäftsanschrift in Frankfurt.

II. Die Voraussetzungen einer Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 I Nr. 6 ZPO liegen vor, da sich sowohl das Amtsgericht Frankfurt am Main, als auch das Amtsgericht Charlottenburg für örtlich unzuständig erklärt haben. Die Zuständigkeitsbestimmung ist gem. § 36 II ZPO durch das Oberlandesgericht Frankfurt am Main vorzunehmen, da das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der beiden Amtsgerichte der Bundesgerichtshof wäre und das zum hiesigen OLG-Bezirk gehörende Amtsgericht Frankfurt zuerst mit der Sache befasst gewesen ist.

III. Zuständiges Vollstreckungsgericht ist das Amtsgericht Charlottenburg. Das Amtsgericht Frankfurt, dessen Verweisungsbeschluss nach § 828 III 2 ZPO nicht bindend ist, hat die Sache zu Recht dorthin verwiesen.

Vollstreckungsgericht ist gem. § 828 II ZPO das Amtsgericht, bei dem der Schuldner im Inland seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Fehlt es an einem solchen, ist es das Amtsgericht, bei dem nach § 23 ZPO gegen den Schuldner Klage erhoben werden kann.

Wie der Senat bereits entschieden hat (Beschluss vom 29.4.2021 - 11 SV 16/21, juris = NJW-RR 2021, 1125 = GmbHR 2021, 882 = ZInsO 2021, 1874; zustimmend Bayer in: Lutter/Hommelhoff, GmbH-Gesetz, § 4a, Rn. 3; Luxem in: Gosch/Schwedhelm/Spiegelberger, GmbH-Beratung, Sitz der GmbH, 4. Auslandsbezug; wohl auch BeckOK ZPO/Toussaint, 47. Ed. 1.12.2022, ZPO § 17 Rn. 11.1), ist in Fällen, in denen eine Gemeinde - wie Berlin - in mehrere (Amts-) Gerichtsbezirke zerfällt, sich der satzungsmäßige Sitz einer GmbH aber in der Angabe der Gemeinde erschöpft, ein Sitz der Gesellschaft in allen erfassten Amtsgerichtsbezirken, hier in allen Amtsgerichtsbezirken in Berlin, mit der Folge anzunehmen, dass die Gläubigerin das zuständige Gericht gemäß § 35 ZPO auswählen kann. Die in Betracht kommenden Gerichte sind dann (nur) in Bezug auf andere Amtsgerichte gem. § 802 ZPO ausschließlich zuständig. Die Situation entspricht damit derjenigen bei Annahme eines Doppelsitzes einer Gesellschaft (vgl. dazu Toussaint aaO Rn. 10).

Der allgemeine Gerichtsstand der Schuldnerin als juristischer Person wird gem. § 17 I ZPO durch ihren Sitz bestimmt. Der Sitz der Schuldnerin, einer Unternehmergesellschaft als Sonderform der Gmb...

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