Leitsatz (amtlich)

Türkische Staatsangehörige, die die aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen erfüllen, sind berechtigt, einen Antrag auf Änderung des Vornamens und der Geschlechtszugehörigkeit nach dem TSG zu stellen, weil das türkische Heimatrecht keine dem TSG vergleichbare Regelung kennt.

 

Normenkette

TSG § 1 Abs. 1 Nr. 3d, § 8 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

AG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 07.06.2016)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 29.11.2017; Aktenzeichen XII ZB 346/17)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zur Durchführung eines Verfahrens nach §§ 1 und 8 TSG an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Der Beschwerdewert wird festgesetzt auf 5.000,-- EURO.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die antragstellende, ledige Person besitzt die türkische Staatsangehörigkeit. Sie wurde 199x in Deutschland geboren, lebt seitdem hier und besitzt eine derzeit bis zum ... 2018 gültige, verlängerbare Aufenthaltserlaubnis. In der von ihr vorgelegten Geburtsurkunde ist als Geschlecht weiblich sowie als Vorname der weibliche türkische Vorname "X" eingetragen. Mit am 15. Februar 2016 bei dem Amtsgericht eingegangenem Schreiben beantragte sie die Änderung des Vornamens (zukünftig: "Y") sowie des Geschlechtseintrages in männlich nach dem deutschen Transsexuellengesetz (im Folgenden TSG). Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, das Heimatrecht der Türkei kenne keine dem TSG vergleichbare Regelung, sie habe nie akzeptieren können, ein Mädchen zu sein; seit der Pubertät befasse sie sich mit dem Ziel der Geschlechtsumwandlung und ihre Entscheidung hierfür stehe seit mehreren Jahren fest; eine entsprechende hormonelle Therapie laufe schon länger.

Der Vertreter des öffentlichen Rechtes machte geltend, eine Änderung des Vornamens und der Geschlechtszugehörigkeit sei in der Türkei möglich. Da es im türkischen IPR keine Rückverweisung auf das deutsche Aufenthaltsrecht gebe, komme für türkische Staatsangehörige insoweit türkisches Recht zur Anwendung, welches zwar keine unterschiedlichen Verfahren wie §§ 1 und 8 TSG, aber ansonsten einige Gemeinsamkeiten aufweise. Zudem sei davon auszugehen, dass der türkische Staat mit hoher Wahrscheinlichkeit ein deutsches TSG-Verfahren nicht akzeptieren und keine Änderungen in türkischen Registern oder Ausweisen vornehmen würde.

Der Richter des Amtsgerichts wies "den Antrag auf Änderung des Vornamens nach dem Transsexuellengesetz" mit Beschluss vom 7. Juni 2016, auf dessen Inhalt wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 23 ff d.A.), zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, eine Antragsbefugnis nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 d TSG sei nicht gegeben, weil das türkische Sachrecht in Art. 27 und 40 des türkischen ZGB und §§ 35 ff des türkischen Personenstandsgesetzes aufgrund von Transsexualität eine Namensänderung ermögliche, die hinsichtlich der Voraussetzungen und Wirkungen nicht gleichlautend, sondern nur vergleichbar sein müsse, was der Rechtsprechung des BVerfG entspreche. Deshalb seien die vermeintlichen Rechte trotz des Aufenthalts in Deutschland vor einem türkischen Gericht und nach türkischem Recht, das ebenfalls auf das jeweilige Personalstatut abstelle, geltend zu machen.

Gegen diesen am 10. Juni 2016 zugestellten amtsgerichtlichen Beschluss legte die antragstellende Person mit am 28. Juni 2016 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten, auf dessen Inhalt verwiesen wird, Beschwerde ein. Zur Begründung wird im Wesentlichen geltend gemacht, das Amtsgericht übersehe, dass nicht nur die Vornamensänderung, sondern auch die Personenstandsänderung beantragt worden sei. Entgegen der Auffassung des Amtsrichters gebe es in der Türkei keine dem TSG vergleichbaren Regelungen, weil Art. 40 türk. ZGB für die Personenstandsänderung fordere, dass die antragstellende Person nicht verheiratet und nicht fortpflanzungsfähig sei und sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterzogen habe. Die in § 8 Abs. 1 Nr. 3 und 4 TSG früher ebenfalls als Voraussetzung für die Änderung der Geschlechtszugehörigkeit geforderte Fortpflanzungsunfähigkeit und geschlechtsangleichende Operation habe das BVerfG aber in seiner aktuellen Rechtsprechung als schwere Grundrechtsbeeinträchtigung eingestuft und aufgehoben, was auch bei der Frage der Vergleichbarkeit des Heimatrechts berücksichtigt werden müsse.

Der Amtsrichter hat der Beschwerde mit Beschluss vom 5. Juli 2016 nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Der Vertreter des öffentlichen Interesses verteidigt die amtsgerichtliche Entscheidung und führt aus, nachdem Deutschland aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 2011 mit der Abschaffung der geschlechtsangleichenden Operation für ein Verfahren nach § 8 TSG im Vergleich zu anderen Ländern nun eine sehr liberale und großzügige Regelung habe, würde die geforderte großzügige Anwendung des Begriffs der vergleichbaren Regelung zu einer zukünftig...

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