Entscheidungsstichwort (Thema)

Stalking durch schuldunfähige Täterin

 

Normenkette

GewSchG § 1; BGB § 823 Abs. 1, § 1004

 

Verfahrensgang

AG Gießen (Beschluss vom 30.11.2009; Aktenzeichen 248 F 1558/09)

 

Tenor

Die angefochtene Entscheidung wird teilweise abgeändert.

Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, jegliche Verbindung zum Antragsteller, insbesondere auch unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln und Briefen, zu unterlassen.

Die Anordnung ist bis zum 31.12.2013 befristet.

Der weitergehende Antrag und die weitergehende Beschwerde werden zurückgewiesen.

Für den Fall der Zuwiderhandlung wird der Antragsgegnerin ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 EUR und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht.

Die Gerichtskosten der ersten und zweiten Instanz haben die Beteiligten je zur Hälfte zu tragen. Außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.

Der Beschwerdewert wird auf 2.000 EUR festgesetzt.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

Der Antragsteller begehrt Schutzanordnungen wegen sog. Stalkings durch die Antragsgegnerin, die er nach dem Inhalt seiner als "Klage" bezeichneten Antragsschrift vom 9.10.2009 ausdrücklich auf §§ 1 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 Nr. 2b Gewaltschutzgesetz stützt.

Der Antragsteller arbeitete ab 2002 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut X. Im Februar 2004 beaufsichtigte er eine Klausur im Fach Strafrecht, an der auch die Antragsgegnerin, die damals Jura studierte, teilnahm. Bereits zu dieser Zeit befand sich die Antragsgegnerin in psychiatrischer Behandlung, weil sie nicht existierende Stimmen hörte. Die Antragsgegnerin stellte sich während der Klausur ein Gespräch des Antragstellers mit seiner ebenfalls aufsichtführenden Kollegin vor, in dessen Verlauf sie zu hören meinte, der Antragsteller habe geäußert, dass er die Antragsgegnerin attraktiv finden würde. Sie bildete sich weiter ein, der Antragsteller sei in sie verliebt, und entwickelte sodann selbst ein Gefühl der Verliebtheit ggü. dem Antragsteller. In der Folgezeit fühlte sich die Antragsgegnerin vom Antragsteller, der sie bisher tatsächlich noch nicht bewusst wahrgenommen hatte, verfolgt und verfiel in den Glauben, dass alle Personen an der Universität über ihr Verhältnis zum Antragsteller Kommentare abgeben würden. Im Sommer 2005 wandte sich die Antragsgegnerin mit einem in sehr verwirrter Form verfassten Brief an die Universitätsverwaltung und beschuldigte den Antragsteller, sie sexuell beleidigt und herabwürdigend behandelt zu haben. Auf Anraten seines damaligen Vorgesetzten verzichtete der Antragsteller auf eine Strafanzeige und vereinbarte ein klärendes Gespräch mit der Antragsgegnerin, an dem auch die Frauenbeauftragte der Universität teilnahm. Die Antragsgegnerin entschuldigte sich in diesem Gespräch und wies auf ihre bestehenden psychischen Probleme hin. Etwa ein halbes Jahr später, Im Frühjahr 2006, nahm die Antragsgegnerin telefonischen Kontakt zum Antragsteller auf und hinterließ zunächst eine Nachricht auf seinem Anrufbeantworter, um ein Treffen mit ihm zu verabreden. Bei dem nächsten Telefonat erklärte ihr der Antragsteller, dass er kein Interesse an einem persönlichen Kontakt zu ihr habe. Seit diesem Zeitpunkt erhielt der Antragsteller von der Antragsgegnerin unerwünschte Anrufe, anfangs mehrere Male wöchentlich, dann mehrere Male täglich, später auch bis mitten in die Nacht hinein. Bei den meisten Anrufen schwieg die Antragsgegnerin, teilweise hinterließ sie Nachrichten auf dem Anrufbeantworter.

Als der Antragsteller Ende 2008 seine Rufnummer änderte, bemerkte die Antragsgegnerin dies und brachte die neue Nummer in Erfahrung. Gleichzeitig begann sie, dem Antragsteller regelmäßig Briefe zu schreiben, die sie zum Teil selbst in den zur Wohnung des Antragstellers gehörenden Briefkasten einwarf. Am 20.4.2009 erstattete der Antragsteller Strafanzeige wegen Stalkings, was die Antragsgegnerin dazu veranlasste, noch im September 2009 teilweise bis zu 50 Mal täglich beim Antragsteller anzurufen.

Am 9.10.2009 beantragte der Antragsteller bei dem AG eine Anordnung nach § 1 GewSchG, die das AG nach mündlicher Verhandlung, zu der die Antragsgegnerin nicht erschien, mit Beschluss vom 30.11.2009 erließ. Seitdem unterblieben weitere Anrufe der Antragsgegnerin. Mit Schreiben vom 2.1.2010 legte die Antragsgegnerin Beschwerde gegen die Entscheidung des AG ein und machte geltend, aufgrund ihrer psychischen Probleme nicht schuldfähig gewesen zu sein. Außerdem wendet sie sich gegen die Dauer der Befristung der Anordnung. Im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Gießen (304 Js 12003/09) wurde ein psychiatrisches Sachverständigengutachten zur Frage der Schuldfähigkeit der Antragsgegnerin und dortigen Beschuldigten eingeholt, das der Senat zu Beweiszwecken beigezogen hat. In ihrem Gutachten vom 2.3.2010 kommt die Sachverständige Dr. SV1 zum Ergebnis, dass die Antragsgegnerin an paranoider Schizophrenie leide und während der Begehung der von ihr eingeräumten Taten gem. § 20 StGB schul...

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