Entscheidungsstichwort (Thema)

Wechselbezügliche Erbeinsetzung der Erblasserin durch Ehemann in gemeinschaftlichem Testament in Bezug auf etwaige Ersatzschlusserbeneinsetzung

 

Leitsatz (amtlich)

Der Satz der allgemeinen Lebenserfahrung, nach der davon ausgegangen werden kann, dass ohne ausdrückliche Regelung ein Testierender, der eines seiner Kinder als Erben einsetzt, im Zweifel für den Fall, dass dieses wegfällt, an dessen Stelle auch dessen Abkömmlinge als Erben einsetzt, stellt kein Kriterium dar, das bei der individuellen Auslegung einer Verfügung von Todes wegen herangezogen werden könne; vielmehr ist diese Regel der Lebenserfahrung gerade in der Vorschrift des § 2069 BGB als Auslegungsregel für den Fall normiert worden, dass die individuelle Auslegung ergebnislos bleibt (Abgrenzung zu Oberlandesgericht Hamm vom 15.7.2003 - Az. 15 W 178/03, zitiert nach juris).

 

Normenkette

BGB §§ 2069, 2270 Abs. 2

 

Verfahrensgang

AG Wiesbaden (Beschluss vom 23.11.2020)

 

Tenor

Ein Rechtsmittel ist nicht bekannt geworden.

Die Beschwerde wird mit der klarstellenden Maßgabe zurückgewiesen, dass mit dem angefochtenen Beschluss des Nachlassgerichts vom 23.11.2020 die Erteilung des von dem Beteiligten zu 1 am 04.05.2020 beantragten Erbscheins bis zur Rechtskraft jenes Beschlusses ausgesetzt worden ist.

Der Beteiligte zu 2 hat die Kosten des Verfahrens der Beschwerde - also die dort entstandenen Gerichtskosten und die dort dem Beteiligten zu 1 entstandenen notwendigen Aufwendungen - zu tragen.

Der Geschäftswert für das Verfahren der Beschwerde wird auf bis 290.000,00 EUR festgesetzt.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die am XX.XX.2020 verstorbene Vorname1 Nachname1, geb. Nachname2 (nachfolgend bezeichnet als: Erblasserin, bzw. gemeinsam mit ihrem nachfolgend bezeichneten, vorverstorbenen Ehemann als: Eheleute, die Eltern, die Großeltern) war verheiratet mit Vorname2 Nachname1(nachfolgend bezeichnet als: Ehemann oder Vater bzw. gemeinsam mit der Erblasserin als: Eheleute, Eltern o. Großeltern), der am XX.XX.2019 vorverstorben ist. Bei dem am XX.XX.1963 geborenen Beteiligten zu 1 handelt es sich um eines der beiden Kinder der Eheleute aus dieser Ehe. Das zweite Kind, ihr am XX.XX.1960 geborener Sohn Vorname3 Nachname1, ist am XX.XX.2012 verstorben. Bei dem Beteiligten zu 2 handelt es sich um dessen einziges, am XX.XX.1985 geborenes Kind.

Der Beteiligte zu 1 hat nach dem Tod seines Vaters am 19.12.2019 zu Protokoll des Nachlassgerichts einen Erbscheinsantrag nach gesetzlicher Erbfolge stellen wollen, wobei sich im Gespräch mit der Rechtspflegerin ergab, dass ein gemeinschaftliches handschriftliches Testament vorhanden sei, das auch bei diesem Termin vorgelegt worden ist. Der Erbscheinsantrag ist dann nicht aufgenommen worden und der Beteiligte zu 1 hat angekündigt, mit der Erblasserin vorbeizukommen, um den Antrag nach testamentarischer Erbfolge zu stellen (vgl. Bl. 3 ff. d. A.). Das Nachlassgericht hat am selben Tag das von dem Beteiligten zu 1 vorgelegte handschriftliche, gemeinschaftliche Testament der Eheleute eröffnet, auf dessen Original Bezug genommen wird (vgl. Klarsichthülle nach Bl. 11 d. A., nachfolgend bezeichnet als: gemeinschaftliches Testament). In diesem gemeinschaftlichen Testament, welches das Nachlassgericht nach dem Tod der Erblasserin erneut eröffnet hat (Bl. 43 d. A.), haben die Eheleute zunächst im ersten Satz des Testaments erklärt, dass sie sich gegenseitig als Erben einsetzen. Der zweite und letzte Satz des Testaments lautet wie folgt: "Nach unserem Tode erben unsere Söhne, Vorname3 und Vorname4 Nachname1, das verbleibende Gesamtvermögen zu gleichen Teilen." Das Testament ist zweimal mit Ort und Datumsangabe versehen und zweimal jeweils von beiden Eheleuten unterschrieben, zunächst nach der Datumsangabe 01.04.2006 und darunter nach der Datumsangabe 04.03.2010.

Am 30.12.2019 hat die Erblasserin dann zu Protokoll des Nachlassgerichts einen Erbschein unter Bezugnahme auf das gemeinschaftliche Testament beantragt, der sie als Alleinerbin ausweisen sollte. Diesem Erbscheinsantrag haben die Beteiligten jeweils mit schriftlichen Erklärungen unter der Datumsangabe des 19.12.2019 zugestimmt. Am 02.01.2020 hat das Nachlassgericht den beantragten Alleinerbschein erteilt (vgl. insgesamt Bl. 18 - 22 der Akte).

Nach dem Tod der Erblasserin hat der Beteiligte zu 1 ein offenes Schriftstück abgeliefert, das von dem Nachlassgericht am 19.03.2020 als Verfügung von Todes wegen eröffnet worden ist und auf das Bezug genommen wird (nach Bl. 53 d. A., nachfolgend bezeichnet als: Einzeltestament). Dort hat die Erblasserin handschriftlich nach der Einleitung "Testament" erklärt: "Ich [...] bestimme hiermit meinen Sohn Vorname4 Nachname1 [...] zu meinem Allein-Erben." Darunter folgt die Ortsangabe und das Datum 01.08.2013 sowie ihre Unterschrift. Rechts neben Ortsangabe und Unterschrift befindet sich eine weitere Ortsangabe nunmehr mit dem Datum 10.01.2020 und wiederum versehen mit ihrer Unterschrift.

Der Beteiligte zu 1 hat zu P...

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