Leitsatz (amtlich)

1. Der Erörterungstermin in Kindschaftsachen nach § 155 Abs. 2 FamFG ist zwingend vorgeschrieben, so dass für den Rechtsanwalt eine fiktive Terminsgebühr im Sinne von Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG entsteht, wenn das Verfahren infolge eines Vergleichsschlusses beendet wird, ohne dass zuvor eine Erörterung stattgefunden hat.

2. Der Wortlaut von 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG ist dahingehend auszulegen, dass der Begriff "mündliche Verhandlung" auch eine Erörterung nach § 155 Abs. 2 FamFG umfasst (entgegen OLG München, Beschluss vom 20. September 2019 - 11 WF 666/19 - FamRZ 2020, 367; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 25. Juli 2018 - 6 WF 74/18 - FamRZ 2019, 1083; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10. April 2014 - 5 WF 181/13 - FamRZ 2014, 1941; OLG Schleswig, Beschluss vom 12. Februar 2014 - 15 WF 410/13 - NZFam 2014, 470).

 

Tenor

Die Beschwerde des weiteren Beteiligten zu 3 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Biedenkopf vom 2. November 2021 wird zurückgewiesen.

Das Beschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin ist die Großmutter der beiden betroffenen Kinder und hat im zugrundeliegenden Umgangsverfahren die Regelung von persönlichen Kontakten mit den Kindern in Abwesenheit der Antragsgegnerin und Kindesmutter begehrt. Das Amtsgericht hat daraufhin nach § 155 Abs. 2 FamFG einen Anhörungs- und Erörterungstermin anberaumt und den Kindern eine Verfahrensbeiständin bestellt. Die Verfahrensbeiständin hat mit beiden Beteiligten Gespräche geführt und dabei eine außergerichtliche Lösung herbeiführen können. Vor diesem Hintergrund bat einer der beiden Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin das Amtsgericht um Terminsaufhebung und unterbreitete einen schriftlichen Vergleichsvorschlag. Im weiteren Verlauf wurde - nach Abstimmung mit dem Jugendamt - von der Antragstellerseite ein modifizierter Vergleichsvorschlag unterbreitet, den die Antragsgegnerin schließlich über ihren Verfahrensbevollmächtigten angenommen hat. Sie hat sich ebenfalls für eine Terminsaufhebung und eine schriftliche Verfahrensbeendigung ausgesprochen. Auch die Verfahrensbeiständin hat sich mit dem modifizierten Vergleichsvorschlag einverstanden erklärt. Das Amtsgericht stellte den Vergleichsschluss durch Beschluss vom 20. Januar 2021 fest, billigte den Umgangsvergleich gerichtlich und traf eine Kostenentscheidung. Zudem hat es der Antragsgegnerin Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung ihres Verfahrensbevollmächtigten bewilligt und den Verfahrenswert auf 3.000 EUR festgesetzt. Ein Anhörungs- und Erörterungstermin fand nicht mehr statt.

Der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin hat sodann die Festsetzung einer aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung in Höhe von 860,97 EUR beantragt. Dabei hat er neben der Verfahrens- und Vergleichsgebühr auch eine Terminsgebühr (Nr. 3104 des Vergütungsverzeichnisses in Anlage 1 zum RVG) geltend gemacht. Gegen die ohne Terminsgebühr erfolgte Festsetzung der Vergütung in Höhe von (nur) 573,94 EUR hat er Erinnerung eingelegt. Nachdem die hierfür funktionell zuständige Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (Rechtspflegerin) der Erinnerung nicht abgeholfen hatte, wurde die Akte der Abteilungsrichterin des Amtsgerichts vorgelegt. Diese hat der Erinnerung durch Beschluss vom 2. Juni 2021 mit eingehender Begründung abgeholfen und die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung antragsgemäß auf 860,97 EUR festgesetzt. Auf die Beschlussgründe wird Bezug genommen.

Hiergegen hat sich der weitere Beteiligte zu 3 (im Folgenden: Staatskasse) mit einem als "Beschwerde" bezeichneten Rechtsmittel vom 10. Juni 2021 gewandt. Durch Beschluss vom 26. Juli 2021 hat die Abteilungsrichterin des Amtsgerichts der "Beschwerde" nicht abgeholfen und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Die Einzelrichterin des Senats hat diese Vorlageverfügung des Amtsgerichts durch Beschluss vom 13. September 2021 aufgehoben und die Sache zur Entscheidung über das als Erinnerung auszulegende Rechtsmittel der Staatskasse vom 10. Juni 2021 an das Amtsgericht zurückverwiesen. Durch Beschluss vom 2. November 2021 hat die Abteilungsrichterin des Amtsgerichts die Erinnerung der Staatskasse gegen den Beschluss vom 2. Juni 2021 u.a. unter Bezugnahme auf die dortigen Ausführungen zurückgewiesen.

Gegen diesen ihr am 9. November 2021 zugestellten Beschluss wendet sich die Staatskasse mit ihrer am 11. November 2021 beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde. Die Abteilungsrichterin des Amtsgerichts hat der Beschwerde durch Beschluss vom 6. Dezember 2021 nicht abgeholfen und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Die nach §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 8 Satz 1 RVG grundsätzlich zur Entscheidung berufene Einzelrichterin des Senats hat das Verfahren gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 8 Satz 2 RVG dem Senat in voller Besetzung zur Entscheidung übertragen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Beteiligten sind vorab darauf hingewiesen worden, dass diese Vorgehe...

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