Leitsatz (amtlich)

StPO §§ 44, 329 Abs. 3

Das Ausbleiben des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung ist entschuldigt, wenn dieser lediglich das seinem Erscheinen in der Hauptverhandlung entgegenstehende Hindernis selbst herbeigeführt hat (hier: Widerstandsleistung bei polizeilicher Festnahme in anderer Sache und dabei erlittene Verletzungen, die eine Krankenhausbehandlung erfordern, und Drogenkonsum).

 

Tenor

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.

Dem Angeklagten wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungshauptverhandlung vom 8. September 1999 gewährt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dadurch dem Angeklagten erwachsenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

 

Gründe

Das Landgericht hat durch Urteil vom 8. September 1999 die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts - Schöffengericht - Neuss vom 24. Oktober 1995 gemäß § 329 Abs. 1 StPO verworfen, weil er in der Berufungshauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben sei. Durch den angefochtenen Beschluß hat die Strafkammer seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungshauptverhandlung als unzulässig verworfen. Die hiergegen gerichtete, form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde des Angeklagten hat Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Gewährung der beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift vom 6. April 2000 an den Senat zu dem Rechtsmittel des Angeklagten u. a. wie folgt Stellung genommen:

"Der Angeklagte N wurde mit am 4. Dezember 1998 zugestellten Schreiben zum Berufungshauptverhandlungstermin auf den 8. Sepember 1999 geladen.

Am Abend des 6. September 1999 wurde er durch Beamte der Polizei Duisburg-Hamborn in einer hier nicht bekannten Sache festgenommen und anschließend aufgrund offensichtlich im Rahmen der Festnahme erlittener schwerer Verletzungen in das Justizvollzugskrankenhaus in Fröndenberg eingeliefert. Dort wurden erhebliche Gesichtsverletzungen diagnostiziert, eine Gehirnerschütterung und

Heroinentzugserscheinungen. In den ersten drei Tagen seines Aufenthaltes im Justizvollzugskrankenhaus war er schläfrig. Sein Zustand verbesserte sich bis zum 12. September 1999.

In dem angefochtenen Beschluß wurde die Ablehnung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im wesentlichen damit begründet, daß der Angeklagte fahrlässig sein Nichterscheinen bei Gericht herbeigeführt habe. Er habe es nämlich als Berufungsführer unterlassen, sich während des Zeitraums zwischen erster und zweiter Tatsacheninstanz einwandfrei zu führen. Dazu gehöre auch, daß man sich einer polizeilichen Festnahme nicht widersetze. Zudem habe er sich - spätestens gegenüber dem Haftrichter - nicht erklärt. Außerdem habe er es pflichtwidrig unterlassen, in der Zeit zwischen erstinstanzlichem Urteil und dem Berufungstermin drogenfrei zu bleiben.

Diese Begründung genügt nicht den Anforderungen, die an die Annahme eines eigenen Verschuldens des Angeklagten im Sinne von §§ 329 Abs. 3 i. V. m. 44 StPO zu stellen sind. Das Verschulden im Sinne des § 44 StPO muß sich nämlich unmittelbar auf die Versäumung beziehen und nicht nur auf die Herbeiführung des Hindernisses im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO (KMR-Paulus § 44, Rdnr. 12, Hanseatisches OLG Hamburg, MDR 1983, S. 152).

So kann dem Angeklagten nicht zur Last gelegt werden, daß er zwischen der Ladung zum Berufungstermin und der Berufungshauptverhandlung als Drogenabhängiger Heroin zu sich genommen hat. Diesem Verhalten des Angeklagten ist eine kausale Verknüpfung zur Versäumung nicht zu entnehmen. Auch die Widerstandsleistung gegenüber Beamten der Polizei in Duisburg-Hamborn kann aus vorgenannten Grün

den dem Angeklagten nicht als Verschulden zugerechnet werden, denn die Widerstandsleistung führte erst zur Herbeiführung des Hindernisses im Sinne von § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO. Allenfalls wäre dem Angeklagten vorzuwerfen, nach Eintritt des Hindernisses nicht rechtzeitig darauf hingewiesen und ggf. dafür Sorge getragen zu haben, daß er vom Justizvollzugskrankenhaus Fröndenberg dem Landgericht Düsseldorf überstellt wird. Dazu war er jedoch aufgrund seiner schwerwiegenden Verletzung und seines zum damaligen Zeitpunkt schlechten Allgemeinzustandes offensichtlich nicht in der Lage. "

Dem tritt der Senat bei.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2571855

VRS 2000, 121

StraFo 2001, 269

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