Leitsatz (amtlich)

1. Der Grundsatz rechtlichen Gehörs gebietet es, dem Prozessbevollmächtigten einer Partei in einer Arzthaftungssache Einsicht in die Behandlungsunterlagen zu gewähren und Abschriften hieraus zu erteilen; die bloße Möglichkeit, die Akten auf der Geschäftsstelle einzusehen, reicht hierfür nicht aus.

2. Der Vorsitzende hat nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob eine kostenpflichtige Aktenübersendung in die Rechtsanwaltskanzlei oder die Erstellung von Ablichtungen durch die Geschäftsstelle zu erfolgen hat. Bei von Dritten beigezogenen Unterlagen ist in die Abwägung einzustellen, dass insoweit ein amtliches Verwahrverhältnis besteht und die Unterlagen keinem unnötigen Beschädigungs- oder Verlustrisiko ausgesetzt werden dürfen.

 

Verfahrensgang

LG Zwickau (Aktenzeichen 1 O 607/19)

 

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Landgerichts Zwickau vom 17.08.2020 - 1 O 607/19 - wie folgt abgeändert:

Der Beklagten sind Kopien der beigezogenen Originalbehandlungsunterlagen gegen Kostenerstattung zu übersenden.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

2. Die gegen den die Beklagte zu erhebende Festgebühr für das Beschwerdeverfahren wird um die Hälfte reduziert. Außergerichtliche Kosten der Parteien im Beschwerdeverfahren werden nicht erstattet.

 

Gründe

I. Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche wegen behaupteter fehlerhafter ärztlicher Behandlung geltend. Das Landgericht hat Behandlungsunterlagen von Mit- und Nachbehandlern beigezogen. Die Beklagte hat beantragt, die Originalbehandlungsunterlagen zur Einsichtnahme an die Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten zu übersenden oder entsprechende Kopien gegen Kostenerstattung zu übermitteln. Das Landgericht Zwickau hat mit Beschluss vom 17.08.2020 die Anträge zurückgewiesen. Gegen den der Beklagten am 24.08.2020 zugestellten Beschluss hat sie mit am 07.09.2020 eingegangenem Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt, der das Landgericht nicht abgeholfen hat.

II. Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 567 ff. ZPO statthaft und zulässig. Der Partei steht die sofortige Beschwerde zu, wenn Akteneinsicht verweigert wird oder dem Antrag nicht in vollem Umfang entsprochen wird (vgl. Greger in Zöller, 33. Aufl., § 299 Rdnr. 5; OLG Brandenburg, Beschluss vom 10.06.2002 - 10 WF 71/02 - juris).

Die Beschwerde ist jedoch nur zum Teil begründet. Die Beklagte hat keinen Anspruch auf Übersendung von beigezogenen Originalunterlagen, denn das Landgericht hat dies ermessensfehlerfrei abgelehnt. Die Beklagte kann jedoch die Übersendung von Kopien der Originalunterlagen gegen Kostenerstattung verlangen.

Der Anspruch auf Akteneinsicht ergibt sich nicht unmittelbar aus § 299 ZPO, denn die von Dritten nach § 142 Abs. 1 ZPO beigezogenen Originalurkunden sind nicht Teil der Prozessakte (vgl. Greger in Zöller, 33. Aufl., § 142 Rdnr. 16; vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 19.09.2012 - 13 W 90/12 - juris; vgl. BGH, Beschluss vom 14.01.2020 - X ZR 33/19 - juris). Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs gebietet es aber, den Parteien Einsichtnahme in Unterlagen zu gewähren, auf deren Grundlage die Entscheidung des Gerichtes gestützt wird. Daher ist eine entsprechende Anwendung von § 299 ZPO geboten (so auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 19.09.2012 - 13 W 90/12). Zu einer ordentlichen, verantwortlichen Prozessführung einer Partei gehört die Möglichkeit, in jedem Stadium des Verfahrens Einsicht in für das Verfahren wesentliche Unterlagen nehmen zu können, was nur dadurch gewährleistet werden kann, dass die Partei bzw. ihre Prozessbevollmächtigten Abschriften von diesen Unterlagen bei ihren Akten haben. Die bloße Möglichkeit auf der Geschäftsstelle Einsicht in die Originalunterlagen zu nehmen, reicht hierfür nicht aus. Ein Anwalt muss, wenn er Schriftsätze anfertigt, in denen er sich mit diesen Unterlagen auseinanderzusetzen hat, diese Abschriften vorliegen haben (so OLG Karlsruhe, Beschluss vom 19.09.2012 - 13 W 90/12). Allein die Gefahr, dass bei Ablichtungen durch die Geschäftsstelle ein Verlust- oder Vertauschrisiko besteht, rechtfertigt es nicht, der Partei keine Ablichtungen zu übersenden (anderer Ansicht: OLG Hamm, Beschluss vom 30.08.2006 - 3 W 38/06 - juris). Das Gericht hat dafür Sorge zu tragen, dass zuverlässige Mitarbeiter den Kopiervorgang in sorgfältiger Weise durchführen (so OLG Karlsruhe, a.a.O.). Die gleichwohl bestehende Gefahr, dass Unterlagen nicht oder falsch eingeheftet werden, muss im Hinblick auf den Anspruch auf rechtliches Gehör der Partei in Kauf genommen werden.

Ein Anspruch auf Übersendung zur Einsichtnahme in eine Rechtsanwaltskanzlei besteht aber grundsätzlich nicht (vgl. BGH, Urteil vom 12.12.1960 - III ZR 191/59, Rdnr. 9 - juris; vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 09.03.2007 - 7 W 18/07 - juris). Die Gewährung von Akteneinsicht erfolgt auch in Gerichtsakten grundsätzlich auf der Geschäftsstelle eines Gerichtes (vgl. BGB, Beschluss vom 06.03.2012 - XI ZB 31/11 - juris). Nach pflichtgemäßem Ermessen des Vorsitzenden, der da...

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