Entscheidungsstichwort (Thema)

Zum Umfang des Versicherungsschutzes in einer Betriebsschließungsversicherung bei einer in den Versicherungsbedingungen enthaltenen dynamischen Verweisung auf die im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und/oder Krankheitserreger, ausgenommen sind jedoch ...

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wird in den Versicherungsbedingungen einer Betriebsschließungsversicherung Versicherungsschutz für die Betriebsschließung aufgrund meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne des IfSG gewährt und heißt es im Anschluss, "Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger..."dann unterfallen wegen der Corona-Pandemie behördlich angeordnete Betriebsschließungen in der Zeit nach dem 1. November 2020 (sog. 2. Lockdown) grundsätzlich dem Versicherungsschutz.

2. Eine behördlich angeordnete Betriebsschließung liegt auch dann vor, wenn die Anordnung im Wege einer Rechtsverordnung durch ein Landesministerium erlassen wurde.

3. Der Eintritt des Versicherungsfalls setzt nicht voraus, dass die behördlich angeordnete Betriebsschließung rechtmäßig war.

4. Der Eintritt des Versicherungsfalls setzt eine Betriebsschließung aufgrund einer sog. intrinsischen Gefahr nicht voraus.

5. Die behördlich angeordnete Schließung nur eines Teilbetriebs (hier: Übernachtung zu touristischen Zwecken) unterfällt jedenfalls dann dem Versicherungsschutz, wenn die Versicherungsbedingungen einen Versicherungsschutz auch für Teilschließungen vorsehen.

 

Normenkette

BGB § 307 Abs. 1-2; IfSG §§ 6-7

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Urteil vom 19.04.2021; Aktenzeichen 2 O 164/20)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 18.01.2023; Aktenzeichen IV ZR 465/21)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 19. April 2021 verkündete Grund- und Teilurteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Hannover unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass die Beklagte den der Klägerin aus der erneuten Schließung des versicherten Betriebs ab dem 2. November 2020 entstandenen Schaden nach den Bedingungen des mit der Beklagten geschlossenen Betriebsschließungsvertrags (Versicherungsschein-Nr. ...) zu ersetzen hat.

Im Übrigen wird die Klage - auch soweit die Klägerin Erstattung der vorgerichtlich entstandenen Anwaltskosten begehrt - abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen tragen die Klägerin 56 % und die Beklagte 44 %.

Die Revision wird zugelassen.

Dieses Urteil sowie das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des insgesamt vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des insgesamt vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf bis zu 16.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin begehrt Versicherungsleistungen aus einer Betriebsschließungsversicherung.

Die Parteien verbindet mit Wirkung ab dem 1. Februar 2020 unter anderem eine Betriebsschließungsversicherung. Danach gewährt die Beklagte unter anderem Versicherungsschutz, wenn die zuständige Behörde aufgrund einer im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheit und/oder eines Krankheitserregers den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen ganz oder teilweise schließt.

Die im Versicherungsfall geschuldete Leistung entspricht dem entgehenden Gewinn aus dem Umsatz, höchstens bis zum Ablauf der Haftzeit von 30 Tagen und maximal in Höhe von 1/12 der vereinbarten Versicherungssumme.

Dem Versicherungsvertrag liegen unter anderem die Bedingungen für die Betriebsschließungs-Pauschalversicherung Gewerbe (BBSG 19) zugrunde. Hinsichtlich des Inhalts der BBSG 19 wird auf die Anlage K 2 im Anlagenband Klägerin Bezug genommen. Hinsichtlich des Inhalts des Versicherungsscheins vom 2. Juli 2019 wird auf die Anlage K 1 im Anlagenband Klägerin Bezug genommen.

Die Klägerin betreibt in H. ein Hotel garni. Mit Allgemeinverfügung vom 18. März 2020 (Anlage K 4 im Anlagenband Klägerin) untersagte der Landkreis H.-P. im Hinblick auf die Ausbreitungsdynamik des SARS-CoV-2-Virus Betreibern von Beherbergungsstätten unter anderem, Personen zu touristischen Zwecken zu beherbergen.

Nach vorübergehender Lockerung der Maßnahmen untersagte das Land Niedersachsen mit Verordnung vom 30. Oktober 2020 Betreibern einer Beherbergungsstätte erne...

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