Leitsatz (amtlich)

1. Die Handelsbilanz, aus der sich die bilanzielle Überschuldung ergibt, indiziert die rechnerische Überschuldung der Gesellschaft, die Voraussetzung der Haftung nach § 64 Abs. 2 GmbHG ist. Weitere Darlegungen des Insolvenzverwalters zu stillen Reserven oder sonstigen, in der Handelsbilanz nicht erfassten Vermögenswerten sind nur erforderlich, wenn Anhaltspunkte für solche Reserven bestehen oder vom Anspruchsgegner behauptet werden.

2. Die Haftung nach § 64 Abs. 2 GmbHG setzt voraus, dass der Geschäftsführer die Überschuldung kennt oder fahrlässig nicht kennt. Auf fehlende Kenntnis kann sich aber nicht berufen, wer seiner Beobachtungspflicht nicht nachgekommen ist. Dafür wiederum ist von Bedeutung, dass einerseits - sobald die Hälfte des Stammkapitals verloren ist - die Gesellschafterversammlung nach § 49 Abs. 3 GmbHG einzuberufen ist, andererseits - wenn ein "nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag" nach § 268 Abs. 3 HGB ausgewiesen werden muss - eine Überschuldungsbilanz zu erstellen und regelmäßig fortzuschreiben ist.

3. Zahlungen des Geschäftsführers, die den Betrieb vorläufig aufrechterhalten sollen, sind nur dann mit der "Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns" i.S.d. § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG vereinbar, wenn sich der Geschäftsführer ausreichend um die finanzielle Situation der Gesellschaft gekümmert hat und auf diese Weise Sanierungsversuche und Chancen für eine Veräußerung, die sich etwa für den Insolvenzverwalter später ergeben, nicht geschmälert werden sollen. Für eine solche "Fortführung" ist regelmäßig kein Raum, wenn sich die Gesellschaft bereits in Liquidation befindet.

 

Normenkette

GmbHG § 64 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Stade (Urteil vom 18.10.2007; Aktenzeichen 8 O 63/07)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 18.10.2007 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer (Kammer für Handelssachen) des LG Stade abgeändert und der Beklagte verurteilt, an den Kläger 5.500 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.5.2007 zu zahlen unter dem Vorbehalt, nach Zahlung des Betrages an die Masse seine Gegenansprüche, die sich nach Rang und Höhe mit den Beträgen decken, welche die durch die verbotswidrigen Zahlungen begünstigten Gesellschaftsgläubiger im Insolvenzverfahren erhalten hätten, gegen den Kläger als Insolvenzverwalter zu verfolgen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

Die Berufung ist begründet; dem Kläger steht als Insolvenzverwalter der von ihm geltend gemachte Zahlungsanspruch gegen den Beklagten gem. §§ 71 Abs. 4, 64 Abs. 2 GmbHG zu.

1. Die vom Beklagten als Liquidator geführte Gesellschaft war im Zeitraum der von ihm vorgenommenen Auszahlungen (15.11.2004 - 31.12.2004) überschuldet. Zwar hat der Kläger zunächst nur die Handelsbilanz vorgelegt, aus der sich zum 31.12.2003 ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag i.H.v. 6.728,48 EUR ergab. Diese Handelsbilanz indiziert jedoch auch die rechnerische Überschuldung der Gesellschaft, die Voraussetzung der Haftung nach § 64 Abs. 2 GmbHG ist. Denn weitere Darlegungen des Klägers zu stillen Reserven oder sonstigen, in der Handelsbilanz nicht erfassten Vermögenswerten waren nicht erforderlich. Die Gesellschaft verfügte nämlich einerseits nicht über Grundvermögen, andererseits hatte sich der Beklagte mit der Klageerwiderung vom 25.6.2007 im Hinblick darauf, dass ein Rückschluss aus dem negativen Eigenkapital auf eine Überschuldung unzulässig sei, lediglich darauf berufen, dass der zum Firmenvermögen gehörende Pkw Nissan am 19.5.2004 zum Preis von 4.000 EUR veräußert worden sei (Anlage B 8). Der Beklagte geht also selbst nicht davon aus, dass weitere stille Reserven vorhanden waren; dies ist im Übrigen auch nicht ersichtlich. Deshalb konnte es der Kläger bei seinem - zutreffenden - Hinweis darauf belassen, dass die Realisierung der stillen Reserve durch den Verkauf des Pkw Nissan die Überschuldung nicht beseitigt hätte: Wie sich aus dem Kontennachweis zur Bilanz zum 31.12.2003 ergibt, ist der Fuhrpark mit 13.574 EUR bewertet worden, wobei auf den zum 20.7.1999 angeschafften Nissan Micra zum 31.12.2003 581 EUR entfielen. Selbst wenn man eine Wertreduzierung des Nissan Micra in der Zeit vom 31.12.2003 bis zu seinem Verkauf am 19.5.2004 berücksichtigte, ist nicht ersichtlich, dass dieser Wert die Differenz zwischen Buchwert und tatsächlichem Wert, nämlich (4.000 EUR./. 581 EUR =) 3.419 EUR, noch um ein Maß erhöhte, das die buchmäßige Überschuldung von 6.728,48 EUR hätte kompensieren können. Im Übrigen stellt der Wert von 6.728,48 EUR die buchmäßige Überschuldung zum 31.12.2003 dar, wobei der Kläger hier Ersatz von Zahlungen im Zeitraum ab 15.11.2004 verlangt, also während der letzten 6 Wochen des Jahres 2004, in dem sich der nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbetrag sogar auf 27.594,33 EUR erhöht hat, wobei nicht ersichtlich ist, dass die Überschuldung in den ersten 11 Monaten des Jahres 2004 beseitig...

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