Leitsatz (amtlich)

Ein volljähriges Kind, das schulische Berufsgrundbildungsjahr absolviert, befindet sich jedenfalls dann in der allgemeinen Schulausbildung i.S.v. § 1603 Abs. 2 S. 2 BGB, wenn es den – bisher nicht erzielten – Hauptschulabschluss erwerben kann (in Fortführung des OLG Celle, Beschl. v. 22.3.1999 – 15 WF 57/99, OLGReport Celle 1999, 175 f.).

 

Normenkette

BGB § 1603 Abs. 2 S. 2

 

Verfahrensgang

AG Gifhorn (Urteil vom 08.01.2003; Aktenzeichen 16 F 639/02)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird unter Zurückweisung seines weiter gehenden Rechtsmittels das am 8.1.2003 verkündete Urteil des AG – FamG – Gifhorn geändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, Kindesunterhalt für den Kläger zu 1) in Abänderung der Urkunde des Jugendamts des Landkreises … vom 10.3.1998 (Nr. 110/1998) für die Zeit von April bis Juni 2001 von 265,87 Euro (= 520 DM) monatlich, von Juli bis Dezember 2001 von 230,08 Euro (= 450 DM) monatlich, von Januar 2002 bis Juli 2003 von 230 Euro monatlich sowie ab August 2003 von 127,82 Euro monatlich abzgl. von April 2001 bis Juni 2003 monatlich gezahlter 127,82 Euro sowie für die Klägerin zu 2) zu Händen ihrer gesetzlichen Vertreterin in Abänderung der Urkunde des Jugendamts des Landkreises … vom 10.3.1998 (Nr. 111/1998) für die Zeit von April bis Juni 2001 von 265,87 Euro (= 520 DM) monatlich, von Juli bis Dezember 2001 von 230,08 Euro (= 450 DM) monatlich, ab Januar 2002 bis Juli 2003 von 230 Euro monatlich sowie ab August 2003 von monatlich 269 Euro abzgl. von April 2001 bis Juni 2003 monatlich gezahlter 127,82 Euro zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen tragen der Beklagten 80 % und die Kläger 20 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

Die Berufung des Beklagten ist nur zum Teil begründet.

Der Beklagte ist den Klägern für die Zeit ab April 2001 zur Zahlung von Kindes-unterhalt gem. §§ 1601 ff. BGB in höherem Maße verpflichtet, als dieser durch die Urkunden des Jugendamtes … vom 10.3.1998 mit monatlich jeweils 127,82 Euro tituliert ist.

Der Beklagte kann sich auf seine durch Arbeitslosigkeit eingeschränkte Leistungsfähigkeit nicht berufen. Die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners ergibt sich nicht allein aus den tatsächlich erzielten Einkünften. Der Unterhaltspflichtige hat seine Arbeitskraft – insb. im Rahmen des § 1603 Abs. 2 S. 1 und 2 BGB – so gut wie möglich einzusetzen, so dass die hieraus bei gehöriger Anstrengung erzielbaren Einkünfte zugrunde zu legen sind (BGH v. 31.5.2000 – XII ZR 119/98, FamRZ 2000, 1358 [1359]; v. 15.12.1993 – XII ZR 172/92, MDR 1994, 483 = FamRZ 1994, 372). Kommt der Unterhaltsschuldner der ihm obliegenden Erwerbsverpflichtung und den sich daraus ergebenden Anstrengungen für eine neue Beschäftigung nicht ausreichend nach, sind ihm die tatsächlich nach Alter, Ausbildung, Berufserfahrung und Gesundheitszustand (BGH v. 15.11.1995 – XII ZR 231/94, MDR 1996, 281 = FamRZ, 1996, 345 [346]) erzielbaren Einkünfte fiktiv zuzurechnen (Haußleiter in Wendl/Staudigl, Das Unterhaltsrecht in der familiengerichtlichen Praxis, 5. Aufl., § 1 Rz. 389 f.). Dies setzt jedoch voraus, dass für den Unterhaltspflichtigen auf dem Arbeitsmarkt überhaupt die Möglichkeit besteht, eine Arbeitsstelle zu finden, mithin eine realistische Vermittlungschance gegeben ist (BGH v. 15.11.1995 – XII ZR 231/94, MDR 1996, 281 = FamRZ, 1996, 345; v. 22.10.1997 – XII ZR 278/95, FamRZ 1998, 357). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass allein aus dem Umstand einer hohen Arbeitslosigkeit und aufgrund der regional unterschiedlichen Gegebenheiten des Arbeitsmarktes ohne Bewerbungsbemühungen des Unterhaltsschuldners keine verlässlichen Aussagen über die Vermittlungschancen möglich sind (OLG Köln v. 12.2.1997 – 14 WF 14/97, OLGReport Köln 1997, 177 [178] = MDR 1997, 651; vgl. Bäumel, FUR 1997, 177 [178]).

Aus der Tatsache, dass sich aus den EDV-Ausdrucken des Arbeitsamts … vom 30.5.2003 ergibt, dass in der Zeit zwischen Januar 1997 und Juli 2002 nur 16 Vermittlungsversuche stattgefunden haben, kann der Beklagte nichts für sich herleiten, weil es gerade bei gesteigerter Erwerbsobliegenheit, die hier gegeben ist, nicht ausreicht, sich zur Erlangung einer Arbeitsstelle allein auf die Hilfe des Arbeitsamts zu verlassen (BGH v. 27.11.1985 – IVb ZR 79/84, MDR 1986, 388 = FamRZ 1986, 244). Der Unterhaltspflichtige ist vielmehr gehalten, Eigeninitiative zu entwickeln und sich auch um Arbeitsstellen zu bemühen, die nicht vom Arbeitsamt angeboten werden. Dass der Beklagte dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist, ergibt sich daraus, dass er Bewerbungsschreiben überhaupt nicht und lediglich zwei Absageschreiben vorgelegt hat. Der Beklagte kann sich auch nicht auf die hohe Arbeitslosenquote im Land … berufen, die nach den vom Statistischen Bundesamt herausgegebenen Eckdaten des Arbeitsmarkts für Juni 2003 derzeit bei rund 19 % liegt. Diese Quote liegt zwar über dem Bundesdurchschnitt, besagt aber auf der anderen Seite, da...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge