Leitsatz (amtlich)

1. Bevor ein Angebot nach § 25 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A Ausgabe 2006 ausgeschlossen werden kann, muss dem betroffenen Bieter unter Setzung einer angemessenen Frist zwingend Gelegenheit gegeben werden, den Eindruck eines ungewöhnlich niedrigen Angebots zu entkräften oder aber beachtliche Gründe dafür aufzuzeigen, dass sein Angebot trotzdem anzunehmen ist.

2. Von einer genaueren Überprüfung unter Einbeziehung des betroffenen Bieters ist nur dann abzusehen, wenn ein offenbares Missverhältnis von Preis und Leistung i.S.d. § 25 Nr. 2 Abs. 3 VOL/A Ausgabe 2006 besteht, bei dem der angebotene (Gesamt)Preis derart eklatant von dem an sich angemessenen Preis abweicht, dass es sofort ins Auge fällt.

 

Normenkette

VOL/A Ausgabe 2006 § 25 Nr. 2 Abs. 2-3

 

Verfahrensgang

Vergabekammer Niedersachsen (Beschluss vom 21.06.2010; Aktenzeichen VgK-25/2010)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss der Vergabekammer Niedersachsen vom 21.6.2010 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass sich die Kosten für das Verfahren vor der Vergabekammer wie folgt verteilen: Die Kosten der Vergabekammer hat die Antragstellerin zu 1/3, der Antragsgegner und die Beigeladene als Gesamtschuldner zu 2/3 zu tragen. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin entfallen jeweils zu 1/3 auf den Antragsgegner und die Beigeladene. Von den Aufwendungen des Antragsgegners und der Beigeladenen trägt die Antragstellerin jeweils 1/3. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes war notwendig.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens, einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin, haben der Antragsgegner und die Beigeladene zu gleichen Teilen zu tragen.

 

Gründe

I. Mit nationaler Bekanntmachung vom 9.12.2009 schrieb der Antragsgegner die Sicherungsdienstleistungen für die Zentrale Polizeidirektion, Außenstelle O., öffentlich aus. Die zu vergebende Sicherungsdienstleistung nach Anhang I B zur VOL/A Ausgabe 2006 umfasste einen Posten für Torkontrolle und Empfangsdienst in Verbindung mit Alarmdienst sowie einen weiteren Posten Streifendienst.

Zuschlagskriterien wurden in der Aufforderung zur Angebotsabgabe nicht benannt. Der Vertrag sollte für zwei Jahre abgeschlossen werden und spätestens nach fünf weiteren Jahren enden. In der Leistungsbeschreibung wurde auf S. 6 unter Ziff. 1 Folgendes ausgeführt:

"Preise sind ohne Umsatzsteuer anzugeben und so zu bemessen, dass sie für die Vertragszeit von zwei Jahren auskömmlich sind, und der Auftraggeber von allen weiteren Kosten, die im Zusammenhang mit der Durchführung der Sicherungsdienstleistungen entstehen, freigestellt ist (s. Ziff. 4.2 Zusätzliche Vertragsbedingungen)."

Dort findet sich folgender Hinweis:

"Die Einheitspreise bzw. kalkulatorische Stundenlöhne werden vorbehaltlich der Einführung eines tarifvertraglichen Mindestlohnes für das Bewachungsgewerbe für eine Vertragslaufzeit von zwei Jahren fest vereinbart; sie umfassen alle Kosten, die im Zusammenhang mit den beauftragten Sicherungsdienstleistungen entstehen. Lohnkostenänderungen, die innerhalb der zweijährigen Vertragslaufzeit eintreten, sind grundsätzlich mit den vereinbarten Einheitspreisen abgegolten. Wird innerhalb der zweijährigen Vertragslaufzeit ein tarifvertraglicher Mindestlohn für das Bewachungsgewerbe eingeführt, können die Vertragsparteien nach Ablauf der Probezeit (Ziff. 2) über neue Einheitspreise für die weitere Vertragslaufzeit nach Maßgabe der nachfolgenden Ausführungen (Ziff. 4.3) verhandeln."

Bei der Submissionsverhandlung am 3.3.2010 hatten 15 Bieter ein Angebot eingereicht, wobei sich das Angebot der Antragstellerin auf jährlich 154.037,88 EUR brutto und das der Beigeladenen auf 170.021,96 EUR brutto belief.

In der Vergabeempfehlung vom 14.4.2010 vermerkte die Vergabestelle u.a., dass die Angebotssumme der Antragsstellerin als tarifgebundenes Unternehmen auf der Grundlage des alten Lohntarifvertrages niedriger sei als die von der Vergabestelle errechnete, niedrigste auskömmliche Angebotssumme. Nach Prüfung der Angebote auf der Basis der "kalkulatorischen Stundenlöhne" wurde festgehalten, dass die direkten Lohnkosten beim Angebot der Antragstellerin in der Summe unauskömmlich seien. Das Angebot der nicht tarifgebundenen Beigeladenen dagegen habe auf der Grundlage sowohl des alten als auch des neuen Lohntarifvertrages jeweils höher als die von der Vergabestelle errechnete, niedrigste auskömmliche Angebotssumme gelegen.

Die zugleich ausgesprochene Empfehlung der Vergabestelle, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen, übernahm der Antragsgegner und informierte die Antragstellerin darüber mit Schreiben gem. § 101a GWB vom 26.4.2010. Ergänzend wies er sie darauf hin, dass ihr Angebot nicht berücksichtigt werden könne, da es nicht das Wirtschaftlichste sei. In einem Telefonat mit einer Mitarbeiterin des Antragsgegners am selben Tag forderte der Geschäftsführer der Antragstellerin, ihr den Auftrag zu erteilen.

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