Leitsatz (amtlich)

Ein vergaberechtsfreies In-house-Geschäft scheidet grundsätzlich aus, wenn das für den Auftrag vorgesehene Unternehmen nur 92,5 % seines Umsatzes aus Geschäften mit den Gebietskörperschaften erzielt, denen das Unternehmen gehört.

 

Normenkette

GWB § 99

 

Verfahrensgang

Vergabekammer beim Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr (Beschluss vom 30.06.2006; Aktenzeichen VgK 12/06)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Vergabekammer beim Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr - Regierungsvertretung Lüneburg - vom 30.6.2006 (AZ: VgK 12/2006) aufgehoben.

Der Antragsgegner wird verpflichtet, die streitbefangene, von ihm benötigte Softwarelösung für den Sozialbereich nur auf der Grundlage eines rechtmäßigen europaweiten Vergabeverfahrens zu beschaffen. Diesbezüglich etwa bereits abgeschlossene Beschaffungsverträge sind nichtig.

Der Antragsgegner und die Beigeladene haben die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer und die notwendigen Auslagen der Antragstellerin als Gesamtschuldner zu tragen. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts im Verfahren vor der Vergabekammer war notwendig.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Antragstellerin haben der Antragsgegner und die Beigeladene jeweils zur Hälfte zu tragen.

Der Streitwert im Beschwerdeverfahren wird auf 24.371,79 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Antragsgegner (Landkreis G.) ist Gesellschafter der K. D. S. (Beigeladene), einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Die Gesellschaft besteht aus 49 kommunalen Gebietskörperschaften. Nach dem Gesellschaftsvertrag bezweckt sie im Rahmen des Betriebs einer kommunalen Datenverarbeitungszentrale u.a. den Betrieb von Rechenzentren, die Softwareeinführung, die Planung, Installation und Administration lokaler Netzwerke sowie die Beschaffung, den Verkauf und die Vermietung von IT-Produkten.

Im November 2004 beschloss der Verwaltungsrat der Beigeladenen auf Vorschlag einer Arbeitsgruppe, in welcher der Antragsgegner vertreten war, die von mehreren Gesellschaftern bis dahin benutzte Software für Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz und dem Asylbewerberleistungsgesetz durch eine von der der P. H. GmbH angebotene Software zu ersetzen. Der Antragsgegner beabsichtigte, auch für zusätzliche Aufgaben, die ihm zum 1.1.2005 als sog. Optionskommune übertragen worden waren, ein Softwareprodukt der P. H. GmbH anzuschaffen. Als sich im Laufe des Jahres 2005 die Einführung dieser Software durch den Hersteller auf unbestimmte Zeit verzögerte, ließ sich der Antragsgegner eine Software der P. GmbH präsentieren. Im Dezember 2005 holte der Antragsgegner ein Angebot der P. GmbH ein. Mit Schreiben vom 19.1.2006 informierte er die Beigeladene, zukünftig für die Aufgabenwahrnehmung nach dem SGB II, SGBXII und AsylbLG die Softwareprodukte der P. GmbH und - für einen Teilbereich - der P. H. GmbH einsetzen zu wollen. Die Beigeladene unterbreitete ihm mit Schreiben vom 13.2.2006 und 20.2.2006 Angebote. Das letzte Angebot beläuft sich auf eine Summe von 487.435,85 EUR. Es beinhaltet bei einer Laufzeit bis zum 31.12.2010 die Nutzung der Software der P. GmbH, die Softwarepflege, Bereitstellung der technischen Infrastruktur, Installation, systemtechnische Administration und Betreuung. Mit Schreiben vom 24.2.2006 teilte der Antragsgegner der Beigeladenen mit, dass das Angebot nach wie vor nicht seinen Vorstellungen entspreche; gleichwohl beauftrage er sie bereits mit der Lieferung. Die Software ist inzwischen installiert und wird genutzt. Ein gesonderter Vertrag zwischen dem Antragsgegner und der Beigeladenen wurde jedoch nicht abgeschlossen.

Am 3./10.3.2006 schloss die Beigeladene im eigenen Namen einen Vertrag mit der P. GmbH über die Nutzung der Software durch den Landkreis G. und über begleitende Dienstleistungen.

Die Antragstellerin hatte beim Antragsgegner seit Anfang 2004 mehrfach ihr Interesse an entsprechenden Aufträgen bekundet. Auf mehrfache Nachfrage teilte der Antragsgegner ihr unter dem 21.5.2006 mit, dass man sich für die Softwarelösung eines anderen Anbieters entschieden habe. Mit Schreiben vom 23.5.2006 rügte die Antragstellerin beim Antragsgegner, das er offensichtlich beabsichtigte, die Software ohne förmliches Vergabeverfahren zu beschaffen. Am 24.5.2006 beantragte die Antragstellerin ein Nachprüfungsverfahren gem. § 107 GWB gegen den Antragsgegner. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag mit der Begründung zurückgewiesen, zwischen dem Antragsgegner und der Beigeladenen liege ein vergaberechtlich zulässiges In-house-Geschäft vor. Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit der sofortigen Beschwerde.

II. Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet. Der Antragsgegner ist verpflichtet, die benötigte Softwarelösung für den Sozialbereich nur auf der Grundlage eines europaweiten Vergabeverfahrens zu beschaffen. Etwaige diesbezüglich von ihr mit der Beigeladenen abgeschlossene Beschaffungsverträge si...

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