Leitsatz (amtlich)

1. Die Präklusion der Rüge der fehlenden Mindestanforderungen für Nebenangebote (§ 10 a lit. f. VOB/A 2006) gemäß § 107 Abs. 3 GWB erfasst auch deren Wertbarkeit. Die mangelnde Zuschlagsfähigkeit von Nebenangeboten, für die keine Mindestbedingungen benannt wurden, ist die zwangsläufige Folge des zuvor begangenen Vergaberechtsverstoßes in Form der unterbliebenen Festlegung und Bekanntgabe von Mindestbedingungen, den der Antragsteller gemäß § 107 Abs. 3 GWB nicht mehr in zulässiger Weise zur Nachprüfung stellen kann.

2. Um ein in jeder Hinsicht transparentes Vergabeverfahren zu gewährleisten und zugleich etwaigen Manipulationsversuchen vorzubeugen, kommt eine nachträgliche Heilung von Dokumentationsmängeln nicht in Betracht. Ist der öffentliche Auftraggeber seiner Dokumentationspflicht nicht ordnungsgemäß und zeitnah nachgekommen, ist deren spätere Erstellung ohne Wiederholung des nicht dokumentierten Vorgangs im Vergabeverfahren nicht möglich.

3. Der für die Vergabekammer in § 110 Abs.1 GWB geregelte, für den Vergabesenat aus § 120 Abs.2 GWB i. V. m. § 70 Abs.1 GWB folgende Untersuchungsgrundsatz kann nur innerhalb des vom Antragsteller durch seine - nicht durch Verstoß gegen § 107 Abs. 3 GWB ausgeschlossenen - Rügen definierten Nachprüfungsverfahrens Geltung beanspruchen. Bei einem fehlerhaft nicht gerügten und damit präkludierten Verstoß kommt ein Einschreiten der Vergabekammer und somit auch des Beschwerdegerichts von Amts wegen regelmäßig nicht in Betracht.

 

Normenkette

GWB § 107 Abs. 3, §§ 110, 114, 123

 

Tenor

Auf die sofortigen Beschwerden der Beigeladenen und der Antragsgegnerin wird unter Zurückweisung ihrer weitergehenden Rechtsmittel der Beschluss der Vergabekammer beim Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr - Regierungsvertretung Lüneburg - vom 29. Oktober 2009 teilweise aufgehoben und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin durch die Antragsgegnerin in ihren Rechten verletzt ist. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, erneut in die Angebotswertung einzutreten und dabei alle Nebenangebote zu berücksichtigen.

Im Übrigen wird der Nachprüfungsantrag zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer tragen einerseits die Antragstellerin und andererseits die Antragsgegnerin sowie die Beigeladene als Gesamtschuldnerinnen je zur Hälfte. Die gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragstellerin zu 50% und die Antragsgegnerin sowie die Beigeladene zu jeweils 25%. Außergerichtlichen Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Im Rahmen des Neubaus des O. B. C.- L.- schrieb die Antragsgegnerin mit Bekanntmachung vom 4. Juni 2009 den Bauauftrag "Herstellung und Entwässerungseinrichtung und Oberflächenbefestigung L." als offenes Verfahren europaweit aus. Varianten/Alternativangebote waren zulässig. Als einziges Zuschlagskriterium wurde der Preis bekannt gegeben. Nach Ziffer 5.2 der EGAufforderung zur Angebotsabgabe sowie nach dem Formblatt "Mindestanforderungen an Nebenangebote 226 EG‚ waren Nebenangebote für die Gesamtleistung zugelassen, jedoch nur im Zusammenhang mit dem Hauptangebot. Für Nebenangebote, die den Vorgaben unter Ziffer 5 der Bewerbungsbedingungen nicht entsprachen, kündigte die Antragsgegnerin einen Ausschluss von der Wertung an.

Ausweislich der Niederschrift über die Submission vom 21. Juli 2009 waren vier Angebote fristgerecht eingegangen. Die Antragsstellerin gab das preislich niedrigste Hauptangebot und neun Nebenangebote ab. Danach folgte das Hauptangebot der Beigeladenen, die neunzehn Nebenangebote abgegeben hatte. Der auf dem Formblatt erstellte "VergabevermerkWertungsübersicht‚ vom 10. August 2009 enthält eine Übersicht über die Wertungssumme aller Hauptangebote sowie nicht näher bezeichneter Nebenangebote. Welche Nebenangebote gewertet bzw. nicht gewertet worden sind, ist weder ihm noch dem auf den 8. August 2009 datierten "VergabevermerkEntscheidung über den Zuschlag‚ zu entnehmen. Ausweislich des letztgenannten Vergabevermerks soll der Zuschlag auf das Nebenangebot der Beigeladenen erteilt werden, weil es bei vergleichbarer Qualität das preisgünstigste ist.

Darüber informierte die Antragsgegnerin die Bieter mit Schreiben vom 21. August 2009, wobei sie der Antragstellerin mitteilte, dass ein wirtschaftlicheres Nebenangebot vorliege und ihre Nebenangebote 1, 2, 3, 6 und 8 nicht in Betracht kämen. Mit Schreiben vom 24. August 2009 rügte die Antragstellerin den beabsichtigten Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen als vergaberechtswidrig. Zur Begründung führte sie aus, dass sie aufgrund der Differenz zwischen den ihr bekannten Angebotssummen der Hauptangebote und der möglichen Einsparung durch ihre gewerteten Nebenangebote 4, 5, 7 und 9 darauf schließen müsse, dass die Beigeladene ein nicht vollständiges, mischkalkuliertes (Haupt)Angebot und nicht gleichwertige Nebenangebote vorgelegt habe. Auf die abschlägige Antwort der Antragsgegnerin per eMail vom 26. August 2009 vertiefte die Antragstell...

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