Leitsatz (amtlich)

1. Die Vaterschaft eines Mannes zu einem Kind kann - postmortal - in einem gerichtlichen Verfahren auch festgestellt werden, wenn das Standesamt und die Standesamtsaufsicht die in einem als "Vaterschaftsanerkennung und Alimentenverpflichtung" überschriebenen Schriftstück unter einer Bedingung im Jahr 1965 in der Schweiz beurkundete Erklärung als rechtlich zweifelhaft einstufen.

2. Bei der Abstammung eines Kindes handelt es sich um einen abgeschlossenen Vorgang, sodass nach Art. 220 Abs. 1 EGBGB auf vor dem 1. September 1986 abgeschlossene Vorgänge das bisherige Internationale Privatrecht anwendbar ist (BGH FamRZ 1994, 1027). Da für die Zeit vor dem 1. September 1986 im deutschen Internationalen Privatrecht keine ausdrückliche Kollisionsnorm zur abstammungsrechtlichen Zuordnung eines nichtehelichen Kindes zum Vater bestand, ist nach Inkrafttreten des Nichtehelichengesetzes das für die Vaterschaftsfeststellung anzuwendende Statut dem für die Unterhaltspflicht geltenden Recht zu entnehmen (BGH FamRZ 1973, 257).

3. Für ein Abstammungsgutachten kann eine genetische Probe herangezogen werden, die aus auf Postkarten des potentiellen leiblichen Vaters aufgeklebten Briefmarken gewonnen wurden. Zur Überzeugungsbildung können die erklärte Vaterschaftsanerkennung, die über mehrere Jahre gezahlten Unterhaltsbeträge sowie Briefe der verstorbenen Mutter und des potentiellen Vaters herangezogen werden.

 

Verfahrensgang

AG Winsen/Luhe (Aktenzeichen 39 F 127/21)

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Winsen (Luhe) vom 28. Juli 2022 bezüglich der Entscheidung zur Hauptsache und der Kostenentscheidung geändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass K. G., geboren am ... 1925 und verstorben am ... 2020, der Vater der Antragstellerin, M. W., geboren am ... 1963, ist.

Die Gerichtskosten trägt die Antragstellerin. Die Beteiligten tragen die ihnen entstandenen außergerichtlichen Kosten selbst.

II. Für das Beschwerdeverfahren werden keine Gerichtskosten erhoben. Die Beteiligten tragen die ihnen im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten selbst.

III. Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin begehrt die Feststellung, dass der verstorbene K. G. ihr Vater ist.

Die Beteiligte zu 3. ist die Mutter der Antragstellerin, beide sind deutsche Staatsangehörige. In den Jahren 1962 und 1963 hatte die Beteiligte zu 3. ein intimes Verhältnis mit dem am ... 1925 geborenen und am ... 2020 verstorbenen K. G., der die schweizerische Staatsangehörigkeit hatte. Als die Antragstellerin am 1963 in M. geboren wurde, war die Beteiligte zu 3. nicht verheiratet. In der Folge heiratete sie einen Herrn W., dessen Namen sie und die Antragstellerin annahmen.

Mit einem blutgruppenserologischen Gutachten vom .... September 1964 stellte der damals in M. als Gutachter für Blutgruppenserologie tätige Sachverständige Prof. Dr. W. fest, es sei nicht offenbar unmöglich, dass Herr G. der Vater der Antragstellerin sei.

Am .... November 1964 erklärte Herr G. in einem als "Vaterschaftsanerkennung und Alimentenverpflichtung" überschriebenen Schriftstück gegenüber einem Amtsvormund des Schweizer Kantons ..., er erkenne die Vaterschaft für die Antragstellerin unter dem Vorbehalt an, dass er nicht innerhalb von drei Monaten seine Zeugungsunfähigkeit beweisen kann. Außerdem verpflichtete er sich zur Zahlung einer monatlichen Unterhaltsrente von 110 DM an die Antragstellerin.

In einer schriftlichen Erklärung vom ... 1997 bestätigte Herr G., dass er seiner "Tochter, M. D., geb. am ... 63" im Zeitraum von November 1989 bis November 1996 einen Betrag von 55.500 DM im Wege der vorweggenommenen Erbfolge überwiesen habe.

Im Jahr 2000 ließ Herr G. der Antragstellerin ein vorbereitetes Schriftstück zukommen, in dem sie mit Unterschrift vom .... Dezember 2000 "als einzige Tochter von H. G." auf ihren güterrechtlichen Pflichtteil verzichtete.

In einem Testament vom ... 2017 setzte Herr G. die Beteiligte zu 2. als Erbin für sein gesamtes Nachlassvermögen ein.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom .... September 2021 hat die Antragstellerin beim Amtsgericht beantragt festzustellen, dass Herr H. G. der Vater der Antragstellerin ist. Das Amtsgericht hat die Beteiligte zu 2. als mögliche Erbin des Herrn G. förmlich am Verfahren beteiligt. Die Beteiligte zu 2. bestreitet nicht, dass Herr G. der biologische Vater der Antragstellerin ist.

Mit Schreiben vom .... September 2021 hat das Amtsgericht darauf hingewiesen, dass aufgrund der behördlichen Vaterschaftsanerkennung vom .... November 1964 Zweifel am Rechtsschutzbedürfnis bestünden. Daraufhin hat die Standesamtsaufsicht M. mit Schreiben vom 19. Oktober 2021 mitgeteilt, dass erhebliche Bedenken gegen die Eintragung der am .... November 1964 erfolgten Vaterschaftsanerkennung in das Geburtenbuch des Standesamts M. für die Antragstellerin (Geburtenbuch Nr. .../1963) bestehen. Die Wirksamkeit könne le...

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