Verfahrensgang

AG Hildesheim (Aktenzeichen 9 VI 905/21)

 

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Das Land Niedersachsen hat den Beteiligten zu 1 und 2 die notwendigen Aufwendungen des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Beschwerdewert: 3.000 EUR

 

Gründe

Die Beschwerde, mit der das beteiligte Land sich gegen die Feststellung des Fiskuserbrechts wendet, ist unbegründet.

Der Senat kann nicht feststellen, dass andere Erben als das Land Niedersachsen vorhanden sind, nämlich die Beteiligten zu 1 und 2 als Kinder des am 10. September 2020 verstorbenen Erblassers. Die rechtliche Einschätzung des Amtsgerichts, dass die Beteiligten zu 1 und 2 die Erbschaft wirksam ausgeschlagen haben, ist zutreffend.

1. Die Beteiligten zu 1 und 2 haben die Erbschaft mit am 17. Mai 2021 bzw. am 10. Juni 2021 bei dem Nachlassgericht eingegangener notarieller Erklärung jeweils ausgeschlagen (Bl. 6 ff. bzw. 16 ff. d. A.) und mit einer Anfechtungserklärung wegen Versäumung der Ausschlagungsfrist verbunden.

Beide haben u.a. vorgetragen, dass sie seit über 20 Jahren keinen Kontakt zum Erblasser gehabt und von seinem Tod erst durch das Schreiben der Stadt H. (vom 12. Oktober 2020, vgl. Anlage B1, Bl. 67 f. d. A.) erfahren haben. In der Folge sei ihnen bekannt geworden, dass der Erblasser eine Lebensgefährtin hatte, die die Beerdigung geregelt, deren Kosten übernommen und auch sonst den gesamten Nachlass abgewickelt habe. Sie seien davon ausgegangen, dass es ein Testament gebe, in dem die Lebensgefährtin als Erbin eingesetzt worden sei. Ob es tatsächlich ein Testament gebe, sei ihnen bis heute nicht bekannt.

a) Es ist nicht feststellbar, dass zum Zeitpunkt der Ausschlagungen die sechswöchige Ausschlagungsfrist (§ 1944 Abs. 1 BGB) bereits jeweils zu laufen begonnen hatte. Die Ausschlagungen sind daher fristgemäß erfolgt.

Gemäß § 1944 Abs. 2 BGB beginnt die Ausschlagungsfrist mit dem Zeitpunkt, in welchem der Erbe von dem Anfall und dem Grunde der Berufung Kenntnis erlangt. Kenntnis setzt ein zuverlässiges Erfahren der maßgeblichen Umstände voraus, aufgrund dessen ein Handeln erwartet werden kann. Ein Irrtum im Bereich der Tatsachen kann Kenntnis in diesem Sinne ebenso verhindern wie eine irrige rechtliche Beurteilung, wenn deren Gründe nicht von vornherein von der Hand zu weisen sind (BGH, Urteil vom 05. Juli 2000 - IV ZR 180/99 -, juris, dort Rn. 9 m.w.N.). Im Fall gesetzlicher Erbfolge ist Kenntnis vom Berufungsgrund dann anzunehmen, wenn dem Erben die Familienverhältnisse bekannt sind und er nach den Gesamtumständen und seiner subjektiven Sicht keine begründete Vermutung hat oder haben kann, dass eine ihn ausschließende letztwillige Verfügung vorhanden ist (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 20. Juni 2016 - 3 Wx 96/15 -, juris, Rn. 16 m.w.N.; OLG Rostock, Beschluss vom 14. September 2011 - 3 W 118/10 -, juris, Rn. 14). Abgerissene Familienbande können es aus Sicht des Erben nicht unwahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Erblasser ihn durch letztwillige Verfügung ausschließen wollte und ausgeschlossen hat (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht a.a.O.). So liegt der Fall hier. Aus dem nunmehr vorgelegten E-Mail-Verkehr zwischen den Beteiligten zu 1 und 2 und der Lebensgefährtin des Erblassers H. D. (Anlagen B2, B3 - Bl. 69 ff.) ist ersichtlich, dass die Lebensgefährtin sich auf eine "Bevollmächtigung bzw. Verfügung vom Amtsgericht" berufen und die Beteiligten zu 1 und 2 gebeten hat, den letzten Willen des Erblassers erfüllen und an dem von ihm gewünschten Ort auf ihre Kosten die Beerdigung organisieren zu dürfen. Auch wenn weder von einem Testament noch von einer Erbenstellung der Lebensgefährtin die Rede ist, erscheint die Annahme der Beteiligten zu 1 und 2, dass die Frau, die seit 20 Jahren an der Seite des Erblassers war, von ihm als Erbin bedacht worden ist, nicht abwegig, zumal die Lebensgefährtin offensichtlich in rechtlicher Hinsicht in der Lage war, den Nachlass des Erblassers auch im Übrigen abzuwickeln. Auch das Schreiben der Stadt H. vom 12. Oktober 2020 (Anlage B1 - Bl. 67 f. d. A.) steht dem nicht entgegen. Denn das Schreiben richtete sich an die Beteiligten zu 1 und 2 nur als Angehörige aufgrund öffentlich-rechtlichen Bestattungsgesetzes; ein Verweis auf eine (mögliche) Stellung der Beteiligten zu 1 und 2 als gesetzliche Erben erfolgte in dem Schreiben nicht.

Bis zum Eingang der Ausschlagungserklärungen sind keine weiteren Umstände hinzugetreten, aufgrund derer sich den Beteiligten zu 1 und 2 hätte aufdrängen müssen, dass ein sie enterbendes Testament nicht vorliegt und sie gesetzliche Erben des Erblassers geworden sind.

b) Der Einwand des Beteiligten zu 3, dass mittels der Verwendung von Textbausteinen jeder Erbe zu jeder beliebigen Zeit die Erbschaft noch anfechten könnte, verfängt nicht. Vorliegend besteht die Besonderheit, dass die Beteiligten zu 1 und 2 seit über 20 Jahren keinen Kontakt zu dem Erblasser hatten und eine Enterbung nicht unwahrscheinlich war und deswegen die Ausschlagungsfrist nicht zu l...

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