Entscheidungsstichwort (Thema)

Zu den Voraussetzungen eines Entschädigungsanspruchs nach § 198 Abs. 1 GVG wegen unangemessener Verfahrensdauer nach Einstellung eines Strafverfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Sechsmonatsfrist für die Klageerhebung nach § 198 Abs. 5 S. 2 GVG wegen unangemessener Verfahrensdauer beginnt im Fall der Erledigung eines Strafverfahrens durch Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO mit dem Zeitpunkt der Verfügung der Staatsanwaltschaft nach § 170 Abs. 2 S. 1 StPO und es kommt nicht auf das Datum der späteren Bekanntgabe an den Beschuldigten nach § 170 Abs. 2 S. 2 StPO an. Wird eine Einstellungsverfügung dem zuständigen Abteilungsleiter der Staatsanwaltschaft zur Billigung vorgelegt, erlangt sie Wirkung erst mit dem Datum der Billigung.

2. Im Regelfall kann bei Einstellung eines Strafverfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO nach erfolgter Anklageerhebung ein Zeitraum von 1 Jahr und 9 Monaten vom Eingang der Anklage bei Gericht bis zur Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft aufgrund einer Anregung des Gerichts noch nicht als unangemessen angesehen werden.

 

Normenkette

GVG §§ 198, 201; StPO § 170

 

Verfahrensgang

LG Bremen (Aktenzeichen 570 Js 20481/13)

 

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 3.000,- nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über den jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.02.2020 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 3/8 und die Beklagte zu 5/8.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

IV. Der Gegenstandswert der Klage wird auf EUR 4.800,- festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin nimmt die Beklagte als Land auf Entschädigung wegen unangemessener Verfahrensdauer nach § 198 GVG in Anspruch.

Gegen die Klägerin und ihren Lebensgefährten wurde mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bremen vom 23.02.2015, der Klägerin zugestellt am 25.03.2015, Anklage wegen Anbaus von Betäubungsmitteln und wegen Waffenbesitzes erhoben. Der Bevollmächtigte der Klägerin erhob sodann mehrfach, zuerst am 08.04.2016 und zuletzt am 09.04.2019 Verzögerungsrügen. Am 04.02.2019 übersandte das Landgericht Bremen die Akten an die Staatsanwaltschaft zurück mit dem Hinweis, dass sich eine Mitwirkung der Klägerin an der vorgeworfenen Tat aus der Akte nicht ergebe. Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Bremen vom 20.05.2019, gebilligt vom Abteilungsleiter am 22.05.2019, wurde das Verfahren gegen die Klägerin nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, die Nachricht von der Einstellung wurde ihrem Verfahrensbevollmächtigten mit Schreiben vom 27.05.2019 übersandt.

Mit Klagschrift vom 21.11.2019, bei Gericht eingegangen am 22.11.2019, hat die Klägerin Klage auf Entschädigung nach § 198 GVG erhoben. Die Klägerin meint, mit der Dauer von vier Jahren habe das Verfahren unangemessen lange gedauert. Sie macht geltend, sich aufgrund der Verzögerungen psychisch erheblich beeinträchtigt gefühlt zu haben.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin EUR 4.800,- nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie meint, bei einer Gesamtdauer des Verfahrens von vier Jahren und drei Monate sei schon deswegen keine vierjährige Dauer einer unangemessenen Verzögerung anzunehmen, da zum einen die verbleibende Dauer von drei Monaten unrealistisch kurz sei und zum anderen nicht jede Überschreitung dieser Dauer bereits zu einer unangemessenen Verfahrensdauer führen könne. Zudem seien auch richterliche Gestaltungsspielräume in der weiteren Bearbeitung zu berücksichtigen ebenso wie Zeiten, in denen die Akte aus anderen Gründen nicht zur Verfügung gestanden habe. Der Zeitraum zwischen der ersten Verzögerungsrüge und der Bearbeitung der Akte ab Januar 2019 sei mit gut 30 Monaten noch nicht so lang, als dass von einer deutlichen Überschreitung der äußersten Grenzen des Angemessenen ausgegangen werden könne.

Zudem beruft sich die Beklagte darauf, dass die Sechsmonatsfrist für die Klageerhebung nach § 198 Abs. 5 S. 2 GVG nicht eingehalten worden sei, da die Einstellung durch Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 20.05.2019 erfolgt sei und die Mitteilung an den Verteidiger der Klägerin lediglich deklaratorischen Charakter gehabt habe.

II. Die Klage ist zulässig und auch teilweise begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer aus § 198 Abs. 1 GVG im tenorierten Umfang, im Übrigen ist die Klage dagegen unbegründet.

1. Die Klage wahrt die Fristen nach § 198 Abs. 5 GVG. Sie ist entsprechend § 198 Abs. 5 S. 1 GVG erst nach Ablauf von sechs Monaten nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben worden (dazu siehe 2.) sowie den Anforderungen des § 198 Abs. 5 S. 2 GVG entsprechend vor Ablauf von sechs Monaten nach Erledigung des Verfahrens.

Die Sechsmonatsfrist für die Klageerhebung nach § 198 Abs. 5 S. 2 GVG ...

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